Promotionsabbruch in der strukturierten Promotion

Auch schon einmal über einen Promotionsabbruch nachgedacht? Hier rezensiere ich die Studie von Svea Korff (2015) Lost in Structure. Abbruchgedanken von Nachwuchswissenschaftler/Innen in  strukturierten Promotionsprogrammen,  2015 erschienen im Springer-Verlag.
Die Autorin widmet sich mit ihrer Studie an das Tabuthema „Promotionsabbruch“, bzw. Promotionsabbruchgedanken, über das weder Promotionsbetreuende, Verantwortliche in Fakultäten, noch Akteure strukturierter Promotionsprogramme offen sprechen. Besonders von Promovierenden werden Abbruchgedanken der Promotion selten angesprochen, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Im Promotionscoaching und in der Promotionsberatung werden Abbruchgedanken dagegen sehr wohl thematisiert. Zu groß sind Überlastung, fehlende Betreuung, aber auch fehlende Struktur und Vernetzung. Allerdings ist die Entscheidung, die eigene Promotion abzubrechen, stark mit dem Thema Scheitern assoziiert, darum entscheiden sich Promovierende sehr selten für diese Lösung. Diejenigen, die das tun, schämen sich dafür und versuchen, die nicht realisierte, begonnene Promotion aus ihrem Lebenslauf zu streichen.

Persönliche, ökonomische oder  organisationale Gründe für den Promotinsabbruch?

In Ihrer Studie, die als Dissertation eingereicht und angenommen wurde, stellt Svea Korff die Frage, wer unter welchen Bedingungen über den Abbruch der Promotion nachdenkt. Dabei geht sie davon aus, Promotionen aus persönlichen, aus ökonomischen oder aus organisationalen Gründen abgebrochen werden.
Darüber wie viele, ob und warum Promotionen in Deutschland abgebrochen werden, gibt es fast keine Erkenntnisse. Das liegt daran, dass noch nicht einmal bekannt ist, wie viele Promovierende im Promotionsprozess stecken, in welcher Phase Sie sind und welche Faktoren dazu führen, dass sie ihre Promotion erfolgreich beenden. Es fehlen also nicht nur Zahlen zu den Promotionsabbrüchen, sondern auch belastbare Daten zu den Motiven dafür. Forschungen dazu beziehen sich auf relativ kleine oder spezielle Untersuchungsgruppen, zum Beispiel Promovierende bestimmter Programme oder Universitäten. Die vorliegende Studie bezieht sich auf Promovierende, die in strukturierten Promotionsprogrammen promovieren. Das ist besonders interessant, weil diese strukturierten Promotionsprogramme ab den späten 1980er Jahren u.a. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) entwickelt wurden, um ungünstige Promotionsbedingungen zu verändern und das Promovieren erfolgreicher zu machen, indem Promovierende besser unterstützt werden. Das würde bedeuten, dass weniger Promovierende einen Grund hätten, über einen Promotionsabbruch nachzudenken.

Dazu werden im Rahmen der Studie bundesweit und fächerübergreifend Promovierende aus unterschiedlichen Promotionsprogrammen befragt. Um dem Konstrukt „Abbruchgedanken der Promotion“ nahe zu kommen, wurde eine quantitative Erhebung per Fragebogen durchgeführt, danach wurden im Rahmen einer qualitativen Analyse Promovierende in ihren strukturierten Promotionsprogrammen im Rahmen von Gruppendiskussionen befragt.

Promotionsabbrüche sind ein „multifaktorielles Phänomen“

In ihren Ergebnissen stellt die Autorin zunächst fest, dass Graduiertenprogramm nicht gleich Graduiertenprogramm ist, denn sie unterscheidet drei Typen strukturierter Promotionsprogramme (s. 174), z.B., hinsichtlich des Verpflichtungsgrades, der Ausstattung und des Organisationsgrades.
Die Autorin arbeitet heraus, dass Promotionsabbrüche ein „multifaktorielles Phänomen“ (S. 39) sind, nämlich dass es nicht nur einen Faktor zum Promotionsabbruch gibt, sondern dass mehrere ökonomische, soziodemografische oder psychologische Effekte dazu beitragen. Da bedeutet, dass eine Promotion eher nicht leichtfertig abgebrochen wird, sondern mehrere Gründe hierzu zählen. Es kann an der Finanzierung liegen und daran, dass es mit der Promotionsbetreuung nicht klappt. Es kann auch daran liegen, dass sich die Promotion nicht mit Erwerbsarbeit und/oder Familienaufgaben vereinbaren lässt. Es kann sein, dass Menschen den Druck des Promovierens nicht aushalten, weil sie sich den spezifischen Anforderungen nicht gewachsen fühlen.
Auch  für Promovierende in strukturierten Promotionsprogrammen gibt es diese Gründe. Was im Gegensatz zur Individualpromotion in einem strukturierten Promotionsprogramm anders ist, ist die Kommunikation, auch die implizite Kommunikation zu diesem Thema. Im kollegialen Kreise wird dieses Thema nämlich eher vermieden, was auch am Gruppengefüge liegen kann.

Es ist zunächst problematisch, Promotionsabbruchgedanken im Rahmen von Gruppendiskussionen zu untersuchen, weil die Dynamik in den Promotionsprogrammen nicht bekannt ist und auch keine Aussagen über Vertrauensverhältnisse in den Promotionsprogrammen möglich sind: Wer gibt vor den Kollegen/innen schon gerne zu, ernsthaft über den Promotionsabbruch nachzudenken? Ergebnis ist auch, dass strukturierte Promotionsprogramme mit ihren unterstützenden Strukturen Promovierende zwar entlasten und Abbruchgedanken theoretisch vermindern vermögen. Allerdings sind die Promovierenden auch Teil dieser Strukturen, stellen sie selber her und halten sie aufrecht. Daraus ergibt sich, was Promovierende über den eigenen Promotionsabbruch fühlen, denken und kommunizieren.

Verschiedene Maßnahmen könnten helfen

Fakt ist also, dass auch Promovierende in strukturierten Promotionsprogrammen über Promotionsabbrüche nachdenken. Darin unterscheiden sie sich also nicht von ihren Kollegen/innen, die alleine promovieren. Der Unterschied zu Individualpromovierenden ist laut Autorin, dass sie in Strukturen promovieren, in die sie einerseits involviert sind und die sie andererseits selber (re-) produzieren. (Wobei ich bemerken möchte, dass beispielsweise auch wissenschaftliche Mitarbeiter/innen ihre Strukturen zumindest zum Teil reproduzieren – wobei allerdings Kollegs auch nur den Zweck haben, Promotionen zu liefern, während die Promotion im Uni-Kontext weniger eine Rolle spielt).  Damit strukturierte Promotionsprogramme z.B., Graduierten-, bzw. Promotionskollegs eine weitreichende Unterstützung für Promovierende bereitstellen können, empfiehlt die Autorin der Studie u.a. Teamentwicklungsmaßnahmen, Gruppenziele, Transparenz, Mentoring und den Einsatz einer „neutralen“ dritten Person, die im Abhängigkeitsverhältnis zwischen Promovierenden und Betreuenden vermitteln kann.

Ich würde die Empfehlungsliste gerne noch um den Punkt „Promotionscoaching“ erweitert wissen. In der Promotionsphase bleibt vieles im Dunkeln, Abhängigkeiten werden nicht thematisiert und eine wissenschaftliche Karriere wird geplant. Unterstützung in dieser Phase kann eine Promotion verkürzen, „Einsamkeit und Freiheit“ können durch Unterstützung der Arbeitssystematik in der Promotionsphase zu Kooperation und Erfolg werden.
Ich wünsche mir mehr solcher Studien, um Informationen nicht nur über Promotionsabbrüche, sondern auch weitere Informationen über den Erfolg des Promovierens, zu erfahren und diese Informationen systematisch in Promotionsprogrammen zu verankern.

Außerdem würde ich noch den Punkt „Promotionsvorbereitung“ hinzufügen. Promovierende sollten die Möglichkeit bekommen, sich vor der Promotion gut zu informieren – und auch nach einer gewissen Zeit wieder auszusteigen – und das am besten ohne negative Konsequenzen für die Karriere.

Angaben zum Buch:
Svea Korff (2015) Lost in Structure. Abbruchgedanken von Nachwuchswissenschaftler/Innen in der strukturierten Promotion. Springer Verlag. Hildesheim.

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