Wie liest Du für Deine Dissertation? Bis zum Studium ist Lesen ja eigentlich in Geschichten versinken, ist es spannend und oft wenig anstrengend für das Gehirn. Im Studium und in der Promotion müssen dann oft lange Sätze mit vielen Fachbegriffen verstanden werden. Dann wird es oft schwierig.
Besser lesen in der Promotion
Kennst Du das? In der Promotion rinnt Dir die Zeit durch die Finger und das Lesen würde Dir wesentlich mehr Spaß machen, wenn Du Dich während des Lesens nicht immer selbst fragen würdest, ob es Sinn macht, dieses Buch überhaupt zu Ende zu lesen, zu bearbeiten oder gar zu paraphrasieren. Weil Du das nicht weißt, lässt Deine Konzentration schon während des Lesens nach, weil Dir regelmäßig die Frage in den Sinn kommt, ob Du das Buch überhaupt benötigst – oder ob Du vielleicht jetzt etwas Sinnvolleres tun solltest. Und bei Fachtexten, die sperrig sind (und vielleicht noch nicht mal interessant), kann das lesen dann zur Qual werden.
Vielleicht ist es wirklich so, vielleicht brauchst Du für Deine Dissertation nur wenige Bücher, kommst aber nicht darum herum, erst einmal viele Bücher zu lesen, um dann hinterher festzustellen, dass Du sie alle überhaupt nicht gebraucht hättest. Aber eigentlich musst Du schon viele Bücher lesen, – auch die Literatur, die sich nachher nicht in Deiner Dissertation wieder findet, bringt Dich in Deinem Forschungsprozess voran und war im Nachhinein betrachtet, notwendig.
Ein Kategoriensystem entwickeln
Hier hat es sich bewährt, eine Kategorisierung der Texte vorzunehmen. Du kannst Deine Texte in A-, B- und C-Texte einteilen.
Texte der Kategorie A sind wichtig und ohne diese Texte könnte Deine Dissertation nicht geschrieben werden. Diese Texte müssen sozusagen mit einer Gruppe gelesen werden, wichtige Zitate herausgeschrieben und womöglich jeder Absatz muss paraphrasiert werden.
B-Texte sind auch wichtig und müssen zumindest in Teilen gründlich gelesen werden. Oft ergänzen sie die Texte der A-Kategorie. Hier könntest Du vielleicht die Inhalte der Texte grob zusammenfassen und auch als Beleg für A-Texte nutzen.
C-Texte sind nicht ganz so wichtig, Du solltest wissen, dass es sie gibt und auch grob sagen können, was darin steht. Hier reicht es, diese zunächst zusammenzufassen und gegebenenfalls auch später erst zu entscheiden, ob Du sie brauchst.
Mit Farben codieren
Ein Codiersystem für Texte in Papierform hilft, die Orientierung zu behalten. Beispielsweise können alle Namen, die in Texten vorkommen, alle Kernaussagen, alle Leitbegriffe, Jahreszahlen, Autor:innen, Fallbeispiele, Literaturverweise, Theorien, Methoden, Erkenntnisse, Widersprüche in unterschiedlichen Farben markiert werden.
Wenn du etwas im Text suchst, brauchst du nur nach der entsprechenden Farbe Ausschau halten
Anregungen und Tipps für das Lesen in der Promotionsphase
Hier möchte ich Dir einige Anregungen und Tipps für das Lesen in der Promotionsphase geben, obwohl ich weiß, dass es für das „richtige Lesen“ in der Promotion kein allgemeingültiges Rezept gibt, denn jede/r Promovierende hat andere Vorlieben, Erfahrungen andere Gewohnheiten und auch jede Fachdisziplin hat ihre eigenen Lesestrategien, bzw. Regeln zur Textbearbeitung. Hier kannst Du übrigens nachlesen, wie andere Forscher/innen das Lesen organisieren.
Betrachte das Lesen als eine wichtige und besondere Aufgabe in der Promotion
Reserviere Dir im Promotionsprozess eine feste Lesezeit. Das kann regelmäßig, zum Beispiel wöchentlich oder monatlich sein, Du kannst aber auch ganze Wochen nur für das Lesen verwenden. Trage das Lesen als eigene Tätigkeit in Deinen Kalender ein.
Trenne Lesen vom Schreiben und von den übrigen Aufgaben in der Promotion
Richte Dir zum Lesen einen besonderen Platz ein, räume Deinen Tisch leer oder nimm einen anderen Tisch und lege das Material, das Du zum Lesen brauchst, bereit. Das können leere Blätter sein, farbige Stifte und Post-its, je nachdem was Du benötigst. Sieh zu, dass Du offline bist und Dich voll und ganz auf das Lesen konzentrieren kannst.
Verschaffe Dir einen Überblick über den Text
Scanne zunächst durch das Buch, bzw. den zu lesenden Text. Vergegenwärtige Dir den Titel, lies das Abstract und überfliege das Inhaltsverzeichnis. Scanne dann grob die Zusammenfassungen, um zu erfahren, wie nützlich das Buch für Dich sein kann. Wenn es sich nicht um ein Buch, sondern einen Aufsatz handelt, scanne erst die Überschriften und versuche herauszufinden, wie die Struktur des Textes ist. Verschaffe Dir auch einen Überblick darüber, was der Autor oder die Autorin noch geschrieben hat, in welchem Kontext die weitere Literatur steht und ob es vielleicht noch andere Texte gibt, die möglicherweise sogar die Erkenntnisse dieses Textes enthalten. Schau auch nach, ob es Sekundärliteratur gibt, die darüber Aufschluss gibt, in welchem Kontext dieser Text steht. Hier eine Lesehilfe: Zum Beitrag
Formuliere für Dich einen Lese-Auftrag
Formuliere, nachdem Du Dir einen Überblick verschafft hast, einen Auftrag an Dich selbst. Überlege, wofür Du das Buch oder den Text brauchen kannst. Was willst Du von diesem Text wissen, was willst Du erfahren? Welche Aspekte des Textes interessieren Dich besonders? Welche Informationen wird er für Dich bereithalten und wie nutzen Dir diese Informationen für Deine Dissertation? Lies dann noch einmal gründlich die Zusammenfassungen und das Fazit am Schluss und prüfe, ob der Text, bzw. das Buch diese Informationen für Dich bereithält. Und mache dir einen Lese-Leitfaden, mit deinen Fragen an den Text.
Formuliere vor dem Lesen Dein Erkenntnisinteresse und Deine Fragen
Formuliere Dein Erkenntnisinteresse nicht (nur) entlang des Textes, der vor Dir liegt, sondern schreibe auf, welche Fragen für Dich in Deiner Dissertation noch offen sind. Was brauchst Du noch? Welche Fragen sollten für Deine Dissertation, Dein Kapitel noch beantwortet sein. Schau dann, ob Dir der Text Antworten auf Deine Fragen bietet oder ob er Dich dabei unterstützt, Deine Fragen noch konkreter zu formulieren.
Kleiner Tipp am Rande: Liste einfach generell immer Deine Fragen für Deine Dissertation auf, bleibe mit Deinem Erkenntnisinteresse verbunden. Das kannst Du in einem kleinen Büchlein tun oder du benutzt sowieso schon digitale Unterstützer wie Trello, Evernote, Mendeley und Co.
Lege Dir zum Lesen eine Visualisierungs-Strategie zu
Beim Lesen in der Promotion geht es ja nicht nur darum, den Text zu verstehen, sondern ihn möglichst bald in einen Zusammenhang, sowohl mit anderen Texten, als auch dem Erkenntnisinteresse für Deine Forschung zu bringen.
Dazu kannst Du etwas zeichnen und mit Symbolen, zum Beispiel Text-Kästen, Pfeilen oder anderen strukturierenden Elementen arbeiten. Eine andere Strategie kann sein, kurze Zusammenfassungen, Fragen oder Bemerkungen auf Post-its zu schreiben und diese auf einem leeren Blatt zu strukturieren. Ich empfehle Dir, Dir einen Stapel DIN-A-3 Papier zuzulegen. Vielleicht ist es auch interessant, gleich verschieden farbige Post-its zu nutzen und für jede Argumentationslinie eine andere Farbe oder auch besondere Farben für Theorien, Methoden, Fragestellung, etc., zu wählen.
Du kannst ja auch eine Strategie überlegen, wie Du dann die Visualisierung der jeweiligen Texte in Beziehung bringst. Auf Dauer wirst Du dann wohl eine etwas größere Fläche benötigen, zum Beispiel eine Wand, an der Du alles auf einen Blick bekommst. Solltest Du zum Beispiel eine Mindmap verwenden, brauchst Du eine Meta-Mindmap, auf der Du alles verbindest (wenn Du soweit bist, dass Du eine Halle anmieten musst, solltest Du Dein Thema noch einmal eingrenzen ;-).
Löse Dich bald von dem Text
Für die Promotion lesen, heißt auch, sich von Texten zu lösen, um eigene Texte zu verfassen. Beziehungen zwischen Erkenntnissen herzustellen und auf neue Erkenntnisse zu kommen und diese darzulegen, beginnt bereits beim Lesen. Das bedeutet, nicht am Text kleben zu bleiben.
Wenn das Buch Dein Eigentum ist, kannst Du natürlich hineinschreiben, mit Bleistift unterstreichen oder mit verschieden, farbigen Textmarken markieren. Je nachdem, welche Strategie Du verfolgst, reicht das nicht. Das bunte Markieren ist meistens zusammenhangslos, denn die meisten Leute markieren lediglich, was Sie interessant finden, sehen aber nicht, in welcher Beziehung die Inhalte zu ihrer Forschung, bzw. ihren Erkenntnisinteressen stehen. Denke daran, dass Du manche Bücher während Deiner Promotionsphase öfter liest und dass es vorkommen kann, dass Dich das Unterstrichene oder Markierte beim nächsten Lesen stört. Wenn es für Dich wichtig ist, das Gelesene kurz zusammenzufassen oder zu markieren, würde ich Dir entweder verschieden farbige Post-its empfehlen, zum Beispiel etwas Größere, auf denen Du kleine Zusammenfassungen schreiben kannst oder ich würde Dir ganz kleine Post-its empfehlen, die Du Dir an die einzelnen, interessanten Seiten kleben kannst. Ich hätte sogar die Empfehlung, vorher schon Farben für bestimmte Themen zu vergeben, zum Beispiel eine Farbe für Theorie, für Methoden, für Kritik oder Farben bestimmter Themen Deiner Dissertation zuzuordnen. Das führt dazu, dass Du einerseits einen guten Überblick bekommst, und Du mit einem Blick auf ein gelesenes Buch schon siehst, wofür es Dir nützlich ist. Besonders ertragreich ist aber, dass Du beim Lesen schon organisierst – und das ist schon die halbe Miete.
Bleib dran – auch wenn‘s schwierig ist
Wenn Du es gewöhnt bist, den Lesefluss zu unterbrechen, sobald etwas auftaucht was Du (noch) nicht verstehst, mache einmal ein Experiment: Lies weiter und warte darauf, bis sich Dir Begriffe oder Theorien erschließen. Die Idee, bei diesem Tipp ist es, erstens den Lesefluss nicht dauernd zu unterbrechen und zweitens zu lernen, sich gedanklich Zusammenhänge zu erschließen. Positiver Effekt ist, dass sich die Zeit des Ablenkens reduziert, denn wenn Du immer zwischen Text und PC hin und her wechselst, verlierst Du viel Zeit, weil Du die Konzentration verlierst und das hineinkommen in den Text immer schwieriger wird.
Viel Lesen verbessert die Lesekompetenz
Ein Forscher/innen-Team hat herausgefunden, dass das sogenannte Schnelllesen nicht so gut funktioniert. Zumindest nicht, wenn es darum geht, die gelesenen Informationen zu behalten oder gar in einen Wissens-Kontext einzufügen. Um die eigene Lesekompetenz zu verbessern hilft es aber wohl, viel zu lesen – egal in welchem Tempo.
Betreibe Lese-Hygiene
Und zu guter Letzt: Es gibt richtig schwierige Texte. Wenn Du sie nicht verstehst, heißt das nicht unbedingt, dass Du nicht schlau genug bist. Es gibt wirklich extrem kompliziert geschriebene Bücher und Aufsätze von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Beachte, dass das Lesen dieser texte viel Zeit kostet Erstens kostet es viel Zeit und zweitens beeinflusst das auch das eigene Schreiben, denn, wenn man langeTexte liest, beginnt man unweigerlich auch so zu schreiben – und das kann nicht das Ziel sein!