Sprechen über Texte
Einne Buchrezension des Buches von Ella Grieshammer (2018): Textentwürfe besprechen. Analysen aus der akademischen Schreibberatung. Reihe Theorie und Praxis der Schreibwissenschaft. wbv Verlag. Bielefeld
Ella Grießhammer forschte in ihrer Dissertation darüber, wie Schreibende und Beratende in der Schreibberatung über Texte sprechen. Ihre Arbeit verortet sie an der Schnittstelle der Schreibforschung und der Gesprächs- bzw. Beratungsforschung.
Die Autorin geht den Fragen nach, welche Rolle der Text als solches in der Schreibberatung spielt und wie von den Akteur*innen die Verantwortung für den Text ausgehandelt wird. Im Fokus ihres Forschungsinteresses steht, wie Beratende und Schreibende zu einer Vereinbarung darüber kommen, mit welchem Ziel und in welcher Form der Text weiter überarbeitet wird.
Sie analysiert acht Beratungsgespräche mithilfe der Konversationsanalyse. Dabei untersucht sie, wie über den Beratungsgegenstand, den Text gesprochen wird und wie die Akteure und Akteurinnen der Schreibberatung verbal und nonverbal kommunizieren.
Formen von Perspektivendifferenzen
Beratende und Ratsuchende nehmen Texte unterschiedlich wahr und wird in der Schreibberatung als „Perspektivendivergenz“ bezeichnet. Diese entwickelte Ella Grieshammer weiter und fand unterschiedliche Formen von Perspektivendifferenzen zwischen Beratenden und Ratsuchenden heraus. Diese agieren aus den unterschiedlichen Rollen:
Leserin versus Schreiber,
Überarbeitungshelferin versus Schreiber,
Überarbeitungshelferin versus Überarbeiter und
Schreibexpertin versus Inhaltsexperte (S. 101).
Sie arbeitet in ihrer Untersuchung heraus, dass die unterschiedlichen Perspektiven einerseits „produktives Potenzial“ bieten, allerdings auch Ursache für „Unsicherheiten“ und „Uneinigkeiten“ für die Schreibberatung sind (166). Konkret beeinflussen die unterschiedlichen Perspektiven die Aushandlung darüber, wer für den Text verantwortlich ist. Wer verantwortet beispielsweise die Verständlichkeit des Textes, die weiteren Überarbeitungsschritte, wer die Lösung für Probleme findet und umsetzt und wer die Entscheidung trifft, was nun richtig ist, oder nicht.
Ella Grieshammer findet in ihrer Dissertation heraus, dass in der Schreibberatung die Verantwortung für den Text stetig ausgehandelt wird. Dann, wenn Beratende die Verantwortung bei den Ratsuchenden lassen und ihnen „Raum für die eigene Verantwortung“ geben, nehmen Ratsuchende diese gerne an. Das führt dazu, dass sie selbst die Probleme im Text finden und wahrnehmen können und dann bestrebt sind, diese zu lösen (222).
Die Autorin verdeutlicht mit ihrer Studie, dass wissenschaftliche Texte im Prozess der Schreibberatung fragile, sensible Produkte sind. Dazu kommt, dass neben den Ratsuchenden und Beratenden auch die Lesenden und gegebenenfalls auch die Begutachtenden zumindest imaginär anwesend sind. Dann wird „sprechen über den Text“ schon eine größere Diskussion.
Schreibkompetenzen entwickeln versus Textqualität
Sprechen über Text bedeutet nach den Erkenntnissen von Ella Grieshammer auch, die Perspektiven auf den Text „in Übereinstimmung zu bringen“ (227). Zudem ist der Text ein „flexibles Konzept“ (230) bei dem Beratende und Ratsuchende die Verantwortung für den Text in den verschiedenen „Kontexten“ aus Produktion, Rezeption und Überarbeitung“ (230), verhandeln.
Das Sprechen über einen Text im Rohzustand muss einfühlsam und maximal ressourcenorientiert stattfinden. Dabei reicht es nicht, nur zu Beginn der Beratungssituation ein positives Feedback zu geben. Durchgehend, und nicht nur zu Beginn der Beratungssituation, muss eine die positive Sicht auf den Text stattfinden. Die positive und motivierende Beratung von Personen, die eng mit den Defiziten ihres Textes verbunden sind, ist eine Ausnahmesituation. Dazu kommt, dass die Akteure und Akteurinnen der Schreibberatung unterschiedliche Ziele haben: Beratende beraten, damit studierende Schreibkompetenzen entwickeln und Schreibende gehen in die Schreibberatung, weil sie wollen, dass ihr Text/Produkt gut wird, oder zumindest den Anforderungen der Begutachtenden standhält.
Die Beratung von Schreibenden und besonders das „Sprechen über den Text“ ist eine hochkomplexe Situation. Das Verdeutlichen der unterschiedlichen Perspektiven kann Klarheit im Beratungsprozess bringen und Unsicherheiten abbauen.
Eine interessante Implikation macht Ella Grieshammer zum Schluss, in dem sie vorschlägt, neu und anders über Feedback zu denken. Zum guten Feedback gehört, Feedback dankend anzunehmen und keine Rechtfertigung und Erklärung zu geben. Beim „Sprechen über Text“ ist es allerdings vielleicht sinnvoll, dass Schreibende sich nach dem Feedback für ihren Text rechtfertigen. Das könnte für die weitere Beratung vieles erklären, weil es auch das Sprechen über das Schreiben -und so die Reflexion des Schreibprozesses fördert.
Die Forschungsergebnisse von Ella Grieshammer sind für die Schreibberatung immens wichtig! Ihre Erkenntnisse bieten für Beratende der Schreibberatung und für Lehrende neue Möglichkeiten zur Reflexion über ihre verschiedenen Perspektiven und Rollen, die sie beim Textfeedback einnehmen. Sie verdeutlicht die Dimensionen der Interaktion beim „sprechen über Texte“. Die Autorin gibt einige sehr interessante Empfehlungen für die Praxis der Schreibberatung – ich werde jetzt noch einmal anders und genauer darauf schauen, was ich mache, wenn ich Schreibende berate!