Prokrastination ist eine Lösung!

Promotionsprozesse sind in vielerlei Hinsicht störungsanfällig. Eine typische Störung kennen fast alle Promovierenden: Prokrastination!

Man könnte denken, dass Prokrastination eine Krankheit sei, die Promovierende anscheinend grundlos und völlig überraschend überfällt. Expert*innen sind der Meinung, dass Prokrastination zwar keine Krankheit ist, aber zu ernstzunehmenden, psychischen Problemen führen kann.  Tipps gegen Prokrastination nützen wenig oder nur kurz, denn ohne Ursachenforschung kriegst Du unproduktives Verhalten langfristig nicht in den Griff.
Die Symptome treten immer dann auf, sobald Du Dich an Deine Aufgabe setzen willst, am Schreibtisch sitzt, bzw. die Arbeit an Deiner Dissertation angehen möchtest.

Die Prokrastination (Aufschieberitis) kann sich in folgenden Symtomen zeigen:

  • im Internet schauen, was andere so machen, (Facebook und Co.)
  • sich in irgendwelchen Recherchen verlieren und nachher noch mehr Themen zu haben
  • auf E-Mails und Telefonanrufe warten und sofort erledigen
  • Listen schreiben und Projektpläne machen
  • Tee kochen, warten bis er gezogen ist und vergessen haben, wo der Schreibtisch ist
  • Aufräumen, Wäsche aufhängen, Kühlschrank abtauen, Fenster putzen
  • Gespräche mit Kolleg*innen und Freunden führen, Kaffee trinken gehen
  • Kuchen backen und Partys planen
  • YouTube Videos und Fernsehen schauen
  • Texte formatieren und layouten
  • googeln was andere so machen

Prokrastination ist wie ein Virus: Obwohl eine Prokrastination überraschend kommt, kommt sie schleichend und ist längst da, manchmal bevor Du es so richtig gemerkt hast. Irgendwann merkst Du es, dann ist es aber meistens schon zu spät und Du gerätst immer tiefer rein.

Folgeschäden: Ist eine Prokrastination einmal ausgebrochen, beeinflusst sie den weiteren Promotionsablauf, denn sie verursacht ein schlechtes Gewissen. Das beeinflusst fortan Dein Selbstbewusstsein und deine Motivation. Von vielen wird die Prokrastination als chronisch empfunden , weil sie einfach nicht mehr in den Griff zu bekommen ist.

Prokrastination ist eine Lösung!

Gerade in scheinbar aussichtslosen Fällen ist es hilfreich, die Prokrastination direkt an der Wurzel zu bekämpfen. Dafür ist allerdings ein Perspektivenwechsel nötig.
Eine Prokrastination ist nämlich in den meisten Fällen eine Lösung. Nur ist sie eben nicht gerade die richtige Lösung, um mit der Promotion zum Ende zu kommen. Darum ist es notwendig, herauszufinden, wofür die Prokrastination eine Lösung ist.

 

Prokrastination ist eine Lösung: Beispiel aus dem Promotionscoaching

Peter* kommt zu einem Coaching, weil er aus der Prokrastinations-Falle nicht mehr herauskommt. Erst waren es kleine Unterbrechungen im Arbeitsablauf, die schnell größer wurden. Er hat schon zahlreiche Tipps gegen Prokrastination wie Planung, Prioritäten setzen, sofort beginnen, ausprobiert. Nichts hat geholfen!  Mittlerweile ist er so demotiviert, dass er schon gar nicht mehr versucht, sich an seine Dissertation zu setzen. Stattdessen engagiert er sich in vielen Projekten, die wenig mit seiner Promotion zu tun haben.
Er hat also wichtige Tätigkeiten für seine Promotion mittlerweile so lange aufgeschoben, unterbrochen und vermieden, dass er sich schämt und niemandem davon erzählen will. Nach außen hin versucht er seiner Promotionsbetreuung, Kollegen und Kolleginnen und anderen Promovierenden zu vermitteln, dass er gut vorankommt. Nur seine engsten Freunde wissen von seinem schlechten Gewissen, seinen Zweifeln und seiner verschwundenen Selbstachtung.
Nun will er einen nächsten Anlauf nehmen und hat sich entschlossen, sich ein Promotionscoaching zu leisten.

Ich bitte ihn, darüber nachzudenken, welche Vorteile er dadurch hat, dass er seine Arbeit an der Dissertation aufschiebt und vermeidet.

Natürlich stößt das bei Peter erstmal auf Unverständnis, weil er seine Prokrastination ja beseitigen und nicht auch noch würdigen will. Zu groß ist die Angst, das Prokrastinationsverhalten nie wieder los zu werden.

Prokrastination ist eine Lösung, aber für welches Problem?

Die Beantwortung der Frage erfordert ein Umdenken und vielleicht sogar die grundsätzliche Haltung, das alles im Leben einen Sinn hat (naja, fast alles). Nachdem Peter sich auf das Umdenken eingelassen hat, ging alles ganz schnell: Er hatte eine Forschungsmethode gewählt, mit der er zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis gekommen ist. Er hatte, wie er dachte, im Forschungsprozess einen Fehler begangen. Nun wusste er nicht, wie er weiter vorgehen sollte. Und außerdem war er  sich sicher, dass so etwas guten Wissenschaftlern nicht passieren könnte und fühlte sich nun wie ein Versager. Er war selbst erstaunt, wie sinnvoll sein Prokrastinationsverhalten war. Vor allem war er froh, darüber nachgedacht zu haben.

In unserem Coaching konnten wir herausarbeiten, dass in der Wissenschaft Versuch und Irrtum gar nicht so selten sind. Forschungsprozesse laufen nicht immer glatt, schon gar nicht in der Promotion. Forschungsergebnisse geben keinen Aufschluss darüber, ob man ein guter oder schlechter Wissenschaftler ist. Ebenfalls wurde Peter deutlich, dass gute Wissenschaftler sich dadurch auszeichnen, dass sie konstruktiv mit ihren Forschungsergebnissen umgehen und in auch Krisen handlungsfähig werden. Außerdem beraten sie sich mit Kolleg*innen aus dem Fach und nehmen ggf. Hilfe in Anspruch.

Ist das eigentliche Problem erst einmal gefunden, finden sich bessere Lösungen als Prokrastination!

Die Blockade „Prokrastination“ schien Peter nun nicht mehr wichtig und so konnte er über andere Lösungen für das eigentliche Problem nachdenken. Die Prokrastination war nämlich nicht mehr länger nötig!

Zunächst vereinbarte er ein Gespräch mit seiner Promotionsbetreuung, um zu besprechen, wie er mit seinen Ergebnissen umgehen könnte. Ihm fiel ein, dass er auch in seiner Promotionsgruppe über seinen Forschungsprozess sprechen und dort ebenfalls Anregungen bekommen könnte. Im fiel sogar noch ein wissenschaftlicher Mitarbeiter (Postdoc) ein, mit dem er sprechen könnte, bevor er mit seiner Promotionsbetreuung spricht. Er überlegte sogar, dass er seine Forschungsfrage möglicherweise modifizieren könnte, um sein Ergebnis plausibel zu rahmen.

Mit der Haltung „Prokrastination ist eine Lösung“ wollte er nun auf die nächste Prokrastination warten, um das Problem zu benennen und zu bearbeiten.

Natürlich ist dieses Beispiel sehr verkürzt und zugespitzt. Dennoch ist die Idee, sich mit den positiven Seiten der Prokrastination auseinander zu setzen, eher produktiv.

Was könnten dieser Denkweise nach weitere Lösungen für eine Prokrastination sein, bzw., wofür ist Prokrastination eine Lösung?

  • Du zweifelst an Dir selber, Du weißt nicht, ob Du Deine Promotion jemals zu Ende führen kannst, weil Du von Dir selbst denkst, dass Du nicht gut genug bist.
  • Du traust Dich nicht, Deine Ergebnisse/Dissertation in der scientific community zu zeigen (was Du unweigerlich tun musst, wenn Du fertig bist)
  • Du hast keine Perspektive. Du weißt nicht, was Du nach der Promotion machen kannst. Die Möglichkeiten der wissenschaftlichen Karriere sind prekär, der Vertrag läuft aus, Du bist örtlich gebunden, Deine Promotionsbetreuung zeigt an, dass Du nicht weiter beschäftigt werden kannst.
  • Du hast einen Konflikt mit Deiner Promotionsbetreuung, Deine Promotionsbetreuung hat keine Zeit, Deine Promotionsbetreuung hat Kritik an Deinen Inhalten, oder an Deinem Vorgehen. Erst- und Zweit-Gutachterinnen geben unterschiedliche Signale, was den weiteren Verlauf Deiner Dissertation angeht.
  • In Deiner Umgebung traut Dir niemand eine Promotion zu und Du hörst öfter: „Lass es lieber, mache Dir nicht so ein Stress.“
  • Falls Du von einer Prokrastination heimgesucht worden bist, solltest Du schnellstmöglich herausfinden, wofür eine Prokrastination eine Lösung ist.
  • Für dieses Problem gibt es sicher auch eine andere Lösung, als das Arbeiten an der Dissertation aufzuschieben, zu vermeiden oder zu unterbrechen.

Anders als bei einer Krankheit oder einem Virus, den man mit Medikamenten bekämpfen kann, hilft bei Prokrastinationsverhalten, die wirkliche Ursache herauszufinden. Das geht, indem Du die Prokrastination mit einer Lösung gleichsetzt und das passende Problem dazu herausfindest. Wenn Du das eigentliche Problem erkannt hast, kannst Du wiederum eine passende Lösung finden und musst nicht mehr aufschieben. Prokrastination ist eine Lösung!

Zur Begleitung des Lösungsprozesses kann es hilfreich sein, sich kollegiale oder aber auch professionelle Beratung hinzu zu holen.

To Go: Prokrastination ist eine Lösung!

Das wichtigste in Kürze:

Aufschieben, vermeiden, unterbrechen, nennt man Prokrastination. Es gibt viele Formen des Prokrastinierens in der Promotion. Prokrastination wirkt sich auf alle Bereiche aus und kann zum Stillstand führen. Idee: Prokrastination kann auch eine Lösung sein. Finde heraus, was das Positive an der Prokrastination ist. Welche Vorteile bieten sich? Bearbeite dann die wirkliche Ursache. Kollegiale Beratung, Professionelle Beratung und Coaching in der Promotion können Dich dabei unterstützen

*natürlich war es nicht Peter, der im Promotionscoaching war 🙂 zur Anonymisierung habe ich lediglich seinen Namen verwendet.

letzte Aktualisierung Jan 2020

 

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