Foto: depositphotos/Londondeposit

Praxis statt Promotion

Hier wieder so eine Geschichte die das Leben schrieb. Eine abgebrochene/ nicht beendete Doktorarbeit, die eigentlich eine Erfolgsgeschichte ist. Kathrin Rosi Würtz studierte zunächst Soziologie, Neure deutschen Literaturwissenschaft, Kommunikationsforschung und Phonetik an der Universität Bonn, bevor sie 2008 ihre Promotion begann.
Der Arbeitstitel ihrer Dissertation lautete: „ROCKY reloaded: Filmfantasien, Boxsport und die Inkorporation von Körperimaginationen. Eine soziologische Explorationsstudie über Wechselwirkungszusammenhänge von Sport und Spielfilm“. Sehr cool – hört sich so an, als müsste diese Arbeit unbedingt geschrieben werden – aber nicht von Kathrin Rosi Würtz! Der wurde es irgendwann zu theoretisch und sie ging lieber in die Praxis. Ihre Promotionszeit war für sie eine Phase des Suchens – und Findens!

Hier das Interview:

Kannst Du deinen Weg vom Studium zur Promotion beschreiben? Wie bist Du auf die Idee mit der Promotion gekommen und welche Ziele hattest  Du?

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Mein tiefer gehendes Interesse an wissenschaftlicher Arbeit wurde erst gegen Ende meines Studiums geweckt. Ich verspürte zu diesem Zeitpunkt einen enormen Forscherdrang. Während ich meine Magisterarbeit zum Thema „Bollywood zwischen Erlebniswelt und interkultureller Imagination“ schrieb, bedauerte ich es sehr, dass meine Universitätslaufbahn nun dem Ende entgegengehen sollte. So reifte Schritt für Schritt die Idee, direkt im Anschluss an das Studium eine Promotion anzuschließen.
Ein ganz wesentliches Ziel war, ein Buch zu einem spannenden Thema zu schreiben. Außerdem wollte ich mich intensiver mit der Sport- und Mediensoziologie auseinandersetzen. So hatte ich bereits während meiner Magisterabschlussphase eine Idee für einen potentiellen Arbeitstitel für die Promotion. Letztendlich heraus kam dann: „ROCKY reloaded: Filmfantasien, Boxsport und die Inkorporation von Körperimaginationen. Eine soziologische Explorationsstudie über Wechselwirkungszusammenhänge von Sport und Spielfilm.“

Was war toll an deiner Promotion?praxis-statt-promotion-promotionsabbruch

Ich hatte vollkommene Freiheit bei der Themenwahl. Einerseits ist dies ein Segen, kann aber auch zum Fluch werden, wenn die Forschungsfrage nicht präzise genug formuliert wird. Ich hatte zu Beginn eine Stelle als Wissenschaftliche Hilfskraft in meinem Institut, später wechselte ich dann in die Position einer Wissenschaftlichen Mitarbeiterin.
Die Mitarbeit im Institut gab mir die Chance, Arbeitsabläufe kennen zu lernen, als Prüfungsbeisitzerin mitzuwirken und eigene Seminare („Präsentationstechniken für Studierende“, „Visuelle Soziologie“) zu gestalten und durchzuführen. Hinzukam ein eigenes Forschungsprojekt mit großem Medienecho zum Phänomen der damals noch relativ unbekannten Flashmobs. Ich konnte mich also an relativ vielen Stellen austoben.

Die Fotos von Kathrin Rosi Würtz hat Regina Schäfers gemacht.

Wie war der Verlauf Deiner Promotion? Wie lief es mit dem Thema und der Betreuung? Welche Schwierigkeiten gab es während der Promotion? (ist evtl. schon in der Frage davor beantwortet)?

Ich war während meiner Promotion im Institut meines Doktorvaters angestellt. Der Aufbau eines neuen Kollegs brachte viel Arbeit für das Team mit sich. So musste ich meine Zeit sehr gut einteilen, damit ich auch an meinen eigenen Themen arbeiten konnte. Das lief mal gut, mal lies es sich nicht effektiv gestalten.

In einem Mentoringprogramm für Promotionsstudentinnen lernte ich die Arbeitsweisen anderer Promovendinnen kennen. Bestandteile dieses Trainings waren u.a. Arbeitsorganisation, Kommunikation und das Erstellen und Veröffentlichen einer Dissertation. An sich waren alle Lerneinheiten sinnvoll, leider gingen jedoch unsere Fachrichtungen und Themen sehr weit auseinander, so dass  wir nur allgemein über die Probleme sprechen und diskutieren konnten.

Mein Arbeitstitel veränderte sich in den Jahren oftmals. Mal über Fitnesssport, mal über den Boxsport, ein ständiges Hin und Her. Leider war ich die einzige Promotionsstudentin, die im Fachbereich der Film- und Körpersoziologie promovierte. Ich nahm an einer speziell auf  diesen Bereich zugeschnittenen Fachtagung an der Deutschen Sporthochschule in Köln, die von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie organisiert wurde, teil. Hier fand ich dann einen regen Austausch unter Gleichgesinnten. Ich überlegte zu dieser Zeit kurz, ob ich nach Köln wechseln sollte, entschied mich dann jedoch dagegen.

Die geringen Austauschmöglichkeiten mit anderen Wissenschaftlern frustrierten mich sehr und so stellte ich meinen kompletten Promotionsprozess Schritt für Schritt in Frage. Ich sah schlichtweg die Gefahr, in eine vollkommen falsche Richtung zu rennen und das über Jahre hinweg. Auf Dauer hat meine Motivation darunter sehr gelitten, bis ich mich schließlich für den Promotionsabbruch entschieden habe.

Hinzukam, dass ich gerne praktisch arbeite und mir die Soziologie an vielen Stellen zu theoretisch erschien. So entschloss ich mich bereits während der Promotion dazu, eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Physiotherapeutin zu absolvieren. Ich wollte im Leben auch etwas Handfestes gelernt haben.

Wie lange dauerte der Prozess des „Promotionsabbruchs“ und wie ging es Dir während dieser Zeit?

Insgeheim spürte ich, dass ich peu à peu den Kontakt zur Universität verlor und quasi zwischen den Stühlen durchhing. Irgendwann machte mir fast nichts mehr wirklich Spaß, weil viele Tätigkeiten einfach immer nur oberflächlich aufgrund des Zeitmangels erledigt werden konnten. So entschied ich mich quasi für den Bereich der mir damals mehr am Herzen lag: die Physiotherapie.

Eine Promotion abzubrechen, ist ja ein längerer Prozess. Was hat letztendlich den Ausschlag gegeben, die Promotion abzubrechen? Kannst du dich an Deine Gedanken und Zweifel erinnern?

Ich hatte einfach Angst, dass meine bisherigen Dissertationsentwürfe nicht ausreichen würden und zweifelte an meiner eigenen Glaubwürdigkeit, mit meinem Thema wirklich etwas Spannendes erforscht zu haben. Vielleicht hatte ich auch zu hohe Ansprüche an mich und mein wissenschaftliches Können.
Ich finanzierte mich nach dem Ausstieg aus dem Universitätsdienst komplett selbst und sah hier über längere Zeit keine eindeutige Perspektive mehr.

Promotionsabbruch ist ja ein Tabuthema. Wie bist Du damit umgegangen und wie hat Deine Umwelt reagiert?

Die Reaktionen waren zwiegespalten. Die Einen bedauerten meine Entscheidung und sagten, dass sie diesen Schritt nicht verstehen könnten, schließlich macht sich ein Doktortitel gut, so die Meinung. Die Anderen begrüßten meine Entscheidung, weil sie den Leidensprozess schon längere Zeit verfolgt hatten. Ich selbst schwankte ständig zwischen der einen und der anderen Seite hin und her. Zum Glück kommen Phasen des Bereuens mittlerweile nur sehr selten vor.

Wie hast Du es Deiner Promotionsbetreuung gesagt – und wie haben sie es aufgenommen?

Ich habe einen Brief geschrieben und ihn in den Institutsbriefkasten geworfen. Danach habe ich nichts mehr gehört.

Hast Du das Gefühl, Zeit verschwendet zu haben?

Aus der jetzigen Perspektive betrachtet: Jein! Ich denke, dass ich damals zu naiv an die Sache herangetreten bin und vor allem den Aspekt der realistischen Machbarkeit und Finanzierung ignoriert habe. Im Prinzip war mein Promotionsstudium eine Phase des Suchens. Ich habe gemerkt, dass ich meine eigenen Seminare gut und gerne geleitet habe. Und auch mit zuverlässigen Kollegen habe ich gerne im Team gearbeitet. Die sogenannten „Sozialkompetenzen“ wie Teamarbeit oder Kommunikationsfähigkeit habe ich verfeinern können. Doch wenn sich der Abschlussprozess zäh wie ein Kaugummi zieht, dann kann das über Jahre nicht gut gehen.

praxis-statt-promotion-promotionsabbruchGibt es für Dich auch Nachteile des Promotionsabbruchs? Würdest Du denken, dass man Nachteile im Job hat?

Das kommt ganz und gar auf den Job an. Ich bin immer sehr dankbar, wenn mich mein Gegenüber nach meinem tatsächlichen Können und nicht nach meinem akademischen Titel beurteilt. Gemeinsam die Lösung eines Problems zu finden, hat erst einmal nichts mit dem Titel zu tun, sondern mit dem Knowhow und den praktischen Erfahrungen, die die Kollegen in die spezifische Situation einbringen. Ausnahmslos jeder kocht mit Wasser. Die Soft Skills und Erfahrungen machen daraus eine schmackhafte Suppe! Was auf der Verpackung steht spielt nur eine untergeordnete Rolle.

Foto: Regina Schäfers

Was machst Du jetzt beruflich? Hätte eine Promotion dort Vorteile?

Mittlerweile bin ich staatlich anerkannte Physiotherapeutin und habe mich als Bewegungscoach und Verlagsinhaberin selbstständig gemacht.
(Hier könnt ihr schauen, was kathrin Rosi Würz nun macht: www.backstagephysio.de .

Für meine praktische Arbeit als Physiotherapeutin hätte es keinerlei Vorteile. Hier in Deutschland werden Physiotherapeuten nicht nach universitären Abschlüssen vergütet. Einen Universitätsabschluss kann man schließlich nicht mit der Krankenkasse abrechnen. Das analytische Denkvermögen, das ich während meiner Zeit an der Universität erlangt habe, hilft mir Praxisprozesse tiefer zu verstehen und gezielter beschreiben zu können.

Was hast Du mit dem Material deiner angefangenen Promotion gemacht – konntest Du oder jemand anderes das nutzen?

Bisher liegen die produzierten Texte auf Eis. Ich habe während meiner Promotionszeit ein Weblog geführt. Dieses Online-Tagebuch stelle ich derzeit jedem Interessierten zur Verfügung. Das Thema hat meiner Meinung nach immer noch eine aktuelle Brisanz gerade in Bezug auf die Diskussion über die heutige Digitalisierung, die die Schnittstelle zwischen Medien und menschlichen Körpern beinhaltet.

Und zum Schluss würde ich Dich gerne um Tipps bitten, für alle die jetzt in der Entscheidungsituation sind:

Eine gute Kalkulation ist unerlässlich, um auch Rückschläge finanziell gut abfedern zu können. Absolute Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, warum man Lebenszeit für einen Titel opfern möchte. Außerdem ist es meiner Meinung nach wichtig, sich einen Coach zu suchen, der eine kritisch-kreative Distanz zu den Abläufen und Entwicklungen behält und im entscheidenden Moment, wichtige Entscheidungshilfen liefert. Im Nachhinein hätte ich ein solch wachsames Auge für meine Promotion gebrauchen können.

Kannst Du drei Argumente aufzählen, die für einen Promotionsabbruch sprechen?

  • Promotion nur wegen des Titels und ohne ein klares berufliches Ziel!
  • Chronische Demotivation, die sich nicht durch ein fachgerechtes Coaching beseitigen lässt und die aufgrund dessen höchstwahrscheinlich auf einer fehlgeleiteten Themenwahl beruht!
  • Angst vor Überqualifikation: Wenn es im eigenen Arbeitsfeld nicht zwingend notwendig ist, lohnt es sich meiner Meinung nach nicht, zu viel Lebenszeit mit der Promotion zu vergeuden!

Weiterführende Links:

Das macht Kathrin Rosi Würtz heute: www.backstagephysio.de

Denkraum zur Promotion

 

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