Promovieren bedeutet auch, Selbstbewusstsein zu entwickeln, zu den eigenen Promotionsergebnissen zu stehen
Hier im Blog möchte ich zeigen, wie individuelle Promotionserfolge aussehen und wie auch Karrierewege beim Gehen entstehen. Außerdem finde ich das Promotionsthema und die Promotionsergebnisse spannend und ich wünsche mir, dass auch Promotionsergebnisse wahrgenommen werden und in der Politik Gehör finden.
Darum stelle ich heute Prof. Dr. Maria Wersig vor, die ich sogar schon einmal höchstpersönlich in einem Promotions-Workshop treffen durfte. Maria Wersig ist seit September 2015 als Professorin für „Rechtliche Grundlagen der Sozialen Arbeit“ an der Fakultät „Angewandte Sozialwissenschaften“ der Fachhochschule Dortmund tätig. Mir hat im Interview besonders gefallen, dass Maria gesagt hat, dass man lernen muss, zu seinen eigenen Promotionsergebnissen zu stehen. Das kommt mir jetzt so simpel vor, aber auch ich erinne mich, wie ich meine eigenen Promotionsergebnisse formulieren und verteitigen musste.
Maria Wersig hat mit ihrer Arbeit zum Themenbereich Recht und Gesellschaft promoviert und das Thema Ehegattensplitting aus einer wissenschaftlichen Perspektive beleuchtet. Ihre Dissertation ist 2013 unter dem Titel “ Der lange Schatten der Hausfrauenehe: Zur Reformresistenz des Ehegattensplittings „erschienen. In ihrer Promotion hat sie untersucht, warum es in Deutschland so schwierig ist, das Ehegattensplitting abzuschaffen.
Wie kamst Du eigentlich auf Dein Thema, wie hat es sich entwickelt?
Das Thema begegnete mir bei der Arbeit auf meiner ersten Stelle nach dem Studium, wo ich wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem interdisziplinären Forschungsprojekt zum „männlichen Ernährermodell“ in Deutschland war. Damals habe ich mir aus juristischer Sicht unter anderem auch das Ehegattensplitting angeschaut und war sehr verwundert, warum es nicht bereits eine Dissertation zu „meinem“ Thema gab.
Was hast Du mit Deiner Dissertation herausgefunden / was sind Deine wichtigsten Ergebnisse?
Ich habe in meiner Dissertation gezeigt, wie das Ehegattensplitting 1958 als politischer Kompromiss eingeführt wurde und seitdem in jeder politischen Konstellation Gründe gefunden wurden, die seinen Fortbestand selbstverständlicher gemacht haben. Die Gründe für das Scheitern der seltenen Reformvorhaben in dem Bereich liegen hauptsächlich in den echten oder vermeintlichen politischen Interessen am Fortbestand des Splittings, von dem bestimmte Ehen profitieren. Nachdem ein Pfad sich so
verfestigt hat, sind Reformen sehr schwierig, weil alle Alternativen sich am Status Quo messen müssen. Wenn durch eine Reform niemand schlechter stehen darf, sind Veränderungen kaum noch möglich. Das Ehegattensplitting ist auch mit Steuermindereinnahmen von etwa 22 Milliarden Euro im Jahr eine bedeutende Verteilungsentscheidung.
Wann wurde Dir klar, dass Du promovieren willst. Gab es besondere Impulse?
Im Studium hätte ich eher nicht gedacht, dass ich einmal promoviere. Als ich dann aber diese Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin bekam, habe ich gemerkt, dass Forschen und Schreiben durchaus Spaß machen kann. Ich habe aber nicht gleich den Schritt zur Promotion gemacht, sondern war nach Abschluss des Projekts über zwei Jahre als Referentin einer Bundestagsfraktion tätig. Das war sehr gut und spannend, weil es mir ein Verständnis politischer Prozesse ermöglicht hat, das auch für meine Dissertation sehr hilfreich war. Der Wunsch zu promovieren hat sich dann aber doch verfestigt, ich wollte gerne an meinem Thema weiterarbeiten.
Was hat Dich in Deinem Promotionsprozess unterstützt?
Ich hatte das Glück, ein Promotionsstipendium der Hans-Böckler-Stiftung zu erhalten, das hat mir diese Arbeit erst ermöglicht. Auch der Rückhalt meiner Familie und FreundInnen war entscheidend.
Was hast Du während der Promotion für den Beruf danach getan (Stichwort: Schlüsselkompetenzen)
Ich habe Erfahrungen in der Lehre gesammelt, Vorträge gehalten und mich ehrenamtlich im Deutschen Juristinnenbund engagiert, wo ich unter anderem an Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen mitgearbeitet habe.
Wer hat Dich unterstützt?
Meine Betreuerin Prof. Dr. Kirsten Scheiwe hat mich sehr unterstützt. Außerdem habe ich sehr von den Seminaren der Hans-Böckler-Stiftung (auch bei Dir) profitiert und vom Austausch mit anderen Promovierenden.
Wo hast Du Hürden erlebt?
Eine große Hürde war für mich das interdisziplinäre Thema meiner Arbeit und der Umgang mit Methoden und Theorien aus unterschiedlichen Fachkulturen. Ich war mir oft nicht sicher, alles „richtig“ zu machen, beziehungsweise hatte Angst, das Thema falsch anzugehen.
Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass diese Angst zum Promovieren dazugehört und nichts mit mir oder dem Thema meiner Arbeit zu tun hat. Außerdem habe ich mir Feedbacks zu meiner Arbeit von VertreterInnen unterschiedlicher Fächer geholt.
Dein schönster Promotionsmoment?
Da gibt es vielleicht nicht „den“ einen Moment. Ich habe mit unterschiedlichen Methoden gearbeitet, mit Archivmaterialien und auch mit Interviews mit PolitikerInnen. Ich war sehr beeindruckt, wie bereitwillig vielbeschäftigte Menschen (u.a. zwei ehemalige Frauenministerinnen, aber auch aktive Bundestagsabgeordnete) mir ihre Zeit geschenkt und sehr offen mit mir über ihre Einschätzungen gesprochen haben. Die Arbeit in den Archiven hat mir auch viel Spaß gemacht, das hatte etwas Detektivisches! Ich bin extra von Berlin nach Bonn in das Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung gefahren, weil ich hoffte, einen unveröffentlichten Gesetzentwurf für eine Reform des Ehegattensplittings zu finden, der nie das Licht der Welt erblickt hat und in anderen Archiven nicht vorlag. Eine Interviewpartnerin hatte davon erzählt, konnte sich aber nicht an alle Details erinnern. Als ich ihn dann am ersten von drei Tagen Forschungsaufenthalt in den Akten der damaligen Arbeitsgruppe Familie der SPD-Bundestagsfraktion gefunden habe, das war wirklich ein toller Moment.
Hand aufs Herz – gab es Momente, in denen Du hinschmeißen wolltest?
Ja sicher. Ehrlich gesagt kann ich mich aber jetzt schon drei Jahre nach der Disputation nicht mehr daran erinnern.
Falls ja, was hat Dich durchhalten lassen?
In einem Seminar hast Du mir gesagt, dass die Dissertation nicht perfekt sein muss und immer nur ein Zwischenergebnis der eigenen Auseinandersetzung mit dem Thema darstellen kann, weil man sonst nie fertig wird. Diesen Gedanken fand ich in der Promotionsphase sehr hilfreich, weil er die Falle Perfektionsanspruch etwas entschärft.
Welche 3 Dinge würdest Du Promovierenden unbedingt raten?
Sich nicht im stillen Kämmerlein verkriechen, sondern den wissenschaftlichen Austausch suchen. Von Anfang an schreiben und die Arbeit in möglichst überschaubare Arbeitspakete einteilen. Promovieren bedeutet auch, das Selbstbewusstsein entwickeln, zu den eigenen Ergebnissen zu stehen.
Wie ging Dein Weg nach der Promotion weiter?
Nach der Promotion habe ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hildesheim gearbeitet, war dann etwa ein Jahr bei einem großen Verkehrsunternehmen tätig und habe ein Jahr eine Professur an der Hochschule Hannover vertreten. Seit 2015 bin ich Professorin für rechtliche Grundlagen der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Dortmund.
Was sind Deine nächsten Ziele?
Ich schreibe gerade an einem Lehrbuch zum Antidiskriminierungsrecht und möchte außerdem in nächster Zeit für meine Sozialrechtslehrveranstaltungen e-Learning-Konzepte entwickeln, um es den Studierenden leichter zu machen, sich auch selbständig außerhalb von Lehrveranstaltungen mit der komplexen Rechtsmaterie zu befassen. Ich bin immer noch aktiv im Deutschen Juristinnenbund und mittlerweile Mitglied des Bundesvorstands. Ich setze mich ein für Verbesserungen für Frauen und für Gleichstellung. Ich möchte erleben, wie das Ehegattensplitting eines Tages abgeschafft wird, auch wenn meine Dissertation die Hürden aufgezeigt hat, die einem solchen Projekt entgegenstehen.
Maria
Welche Bücher sollten Promovierende Deines Faches unbedingt lesen?
„Streitbare JuristInnen: Eine andere Tradition“
„Notorious RBG: The Life and Times of Ruth Bader Ginsburg“
Und sonst: Welche Frage fehlte (und wie ist die Antwort?)
Was ist Deine liebste Frauenfigur in einer Anwaltsserie? In meinen Zwanzigern war es Ally McBeal. Heute ist es Diane Lockhart aus „The Good Wife“.