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Konventionen regeln auch in der Wissenschaft, wie sich Menschen in Meetings, auf Tagungen, in der Lehre und auch in der schriftlichen Kommunikation verhalten. Konventionen geben Orientierung, indem sie vorgeben, was angemessen und akzeptiert wird. Dadurch wirken sie allerdings auch einschränkend. Konventionen in der Wissenschaft sind (implizite) Vereinbarungen oder Regeln, die in einer Fachkultur gelten.

Konventionen in der Wissenschaft

Menschen verhalten sich auch in der Wissenschaft nach Regeln, die ihnen nicht bewusst sind, genauso wie Menschen erfolgreich miteinander sprechen, ohne dass ihnen die grammatischen Regeln bewusst sind. Insofern sind Konventionen in der Wissenschaft oft Geheimwissen, dass sich genau wie Sprache lernen lässt.

Mit Dr. Cornelia Kenneweg und Dr. Ivo van den Berk spreche ich im Podcast über Konventionen in der Wissenschaft. Dieser Beitrag enthält wesentliche Ideen des Gesprächs und gekürzte und bearbeitete Gesprächsinhalte. Den Podcast kannst du hier anhören: LINK.

Funktionen von Konventionen

Konventionen in der Wissenschaft allgemein sowie Konventionen in der Forschung im Speziellen vereinfachen das Miteinander, indem sie Verhaltensweisen der Akteure und Akteurinnen regeln. Handlungsweisen, die Art von Kooperationen und Sprache zwischen Forschenden oder zwischen Promovierenden und Promotionsbetreuenden müssen also nicht ständig neu ausgehandelt werden. Beispielsweise ist explizit vereinbart, dass fremde Ideen und Texte nicht als die eigenen ausgegeben werden dürfen und implizit ist meist vereinbart, dass Feedback dankend entgegengenommen wird. Auch Interessenkonflikte etwa bei Abstimmungen im Fakultätsrat, bei der Vergabe von Professuren und wirtschaftliche Interessen sollten offengelegt werden.

Es gibt sogar eine meist implizite Übereinkunft über die Gliederung von Dissertationen und speziell auch darüber, wie eine Einleitung einer Dissertation aufgebaut ist. Auch wie Präsentationen der jeweiligen Fachdisziplinen gestaltet sind und wer wann wie Fragen bei wissenschaftlichen Vorträgen stellen darf, ist oft implizit geregelt.

Konventionen in der Wissenschaft, beispielsweise des wissenschaftlichen Arbeitens, dienen im besten Fall auch der Qualitätssicherung der guten wissenschaftlichen Praxis.

Andererseits ver- oder behindern Konventionen die Entwicklung neuer Ideen.

Cornelia Kenneweg: Wissenschaftlicher Fortschritt geht immer auch mit einem Bruch von Konventionen einher.

Verhaltensnormen können sich verändern, indem sie immer wieder neu konstruiert werden. Aktuelle Konventionen sind nur denjenigen bekannt, die sich aktiv in der Wissenschaft bewegen.  

Konventionen erkennen: Beobachten

Promovierende kennen diese Konventionen in der Wissenschaft oft noch nicht oder nur teilweise. Das betrifft nicht nur Promovierende nicht-akademischer Herkunft, sondern alle Promovierenden, da Konventionen fast immer implizit sind.

Ein Beispiel: Als Schreibtrainerin und Coach für Promovierende erreicht mich häufiger die Frage, nach welchen Regeln die Dissertation formatiert sein soll. Diese Frage, meist kurz vor Einreichung der Arbeit, finde ich nachvollziehbar. Mit etwas Abstand und mit Blick auf Konventionen allerdings auch verwunderlich, denn eigentlich sollte in dieser Phase Wissen darüber bestehen, ob und welche Konvention es bezüglich der Formatierung der Dissertation gibt.

Manchmal werden Promovierende durch ihre Promotionsbetreuung oder andere Wissenschaftler:innen über Konventionen aufgeklärt, manchmal bleibt nichts anderes übrig, als sie sich selbst zu erschließen und zu erahnen, was in bestimmten akademischen Situationen von ihnen erwartet wird. Denn auch die Promotionsbetreuenden können sie oftmals nicht einfach explizieren: für sie ist das internalisiertes Wissen. Auch sie haben das nicht mit einem Fachbuch gelernt, sondern sind „reingewachsen“, sind sozialisiert worden. Möglicherweise ist es für sie darum auch so schwer, dieses Wissen weiterzugeben.

Dr. Ivo van den Berk: Viele Konventionen bleiben implizit und es wäre sinnvoll, wenn die Promotionsbetreuenden „lautes Denken“ beispielsweise bei der Textproduktion praktizieren würden.

Konventionen in Publikationen

Konventionen gelten auch für Texte. Sie regeln den „Ton“ sowie den inhaltlichen und formalen Aufbau, also z. B. die Gestaltung oder Zitierregeln (wer wie und wo zitiert wird). In Publikationen ist gut erkennbar, ob Konventionen eingehalten wurden.

Ivo van den Berk: Als Herausgeber einer Zeitschrift kann ich meist bereits an der Zusammenfassung erkennen, wie lange und gut eine Person in der Wissenschaft verankert ist.

Daraus ergibt sich, dass Promovierende vor der Einreichung von Publikationen auch gründlich die Konventionen der wissenschaftlichen Texte in ihrem Fach bzw. der jeweiligen Zeitschriften recherchieren sollten. Um die Konventionen zu erkennen, ist es sinnvoll, relevante Texte, auch die der Promotionsbetreuung, zu analysieren. Dabei geht zwar auch darum, inhaltliche Argumentationen zu analysieren, viel mehr aber auch darum, wie und nach welchen Strukturen die Texte aufgebaut sind.

So lassen sich dann Muster erkennen, nach denen eine wissenschaftliche Argumentation geführt wird. Diese Muster lassen sich dann auch auf die eigenen Texte anwenden. Wissenschaftliche Konventionen können so auch das Publizieren erleichtern.

Konventionen sind auch in besonderen Textsorten wirksam.

Dr. Cornelia Kenneweg: Besonders in Texten, in denen das Persönliche und das Wissenschaftliche zusammentreffen, beispielsweise in Danksagungen oder Motivationsschreiben werden Fragen nach der Erwartungshaltung der Adressat:innen aufgeworfen.

Konventionen erkennen: Austausch

Vernetzung und Austausch sind eine weitere Möglichkeit, mehr über Konventionen in der Wissenschaft zu erfahren. Sich z B. mit anderen Promovierenden und Postdoc zu vernetzen, ist dabei hilfreich.

Einerseits können so Informationen weitergegeben werden, andererseits hilft das Feedback der anderen bei der Vorbereitung von Präsentationen, Tagungsbesuchen und Publikationen.

Während ein interdisziplinärer Austausch eine gute Möglichkeit ist, Konventionen disziplinspezifisch zu unterscheiden, unterstützt der Austausch zwischen Mitgliedern der eigenen Disziplin die Sicherheit, die Konventionen dort zu kennen und sicher anzuwenden.

Cornelia Kenneweg: Das, was in der einen Community ein Fettnäpfchen ist, kann in einer anderen Community genau zum Mainstream gehören.

Neben dem Austausch mit Peers kann auch der Austausch mit der Promotionsbetreuung und anderen Personen aus der Wissenschaft hilfreich sein. Auch ein Mentoring könnte Promovierende dabei unterstützen, die Konventionen in ihrer Disziplin kennenzulernen.

Konventionen ermöglichen Erwartungsmanagement

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Konventionen anzeigen, was erwartet wird. Für Promovierende sind Konventionen in der Wissenschaft schwer zu erkennen und zu bedienen, weil es sich meist um implizite Erwartungen und Verhaltensanforderungen handelt.

Um Konventionen zu erkennen, sollten Promovierende nach Mustern suchen, sich informieren und im stetigen Austausch mit denjenigen sein, die diese Konventionen kennen oder auch aktiv auf der Suche danach sind.

Konventionen verändern sich durch wissenschaftlichen Fortschritt und gesellschaftlichen Wandel. Manche Veränderungen werden auch an die Wissenschaft herangetragen. Konventionen werden auch immer wieder neu konstruiert, sie werden auch ausgehandelt, indem sie gebrochen werden. Allerdings ist das Tempo, mit dem sich Konventionen ändern, meist nicht so hoch.

In Zeiten von Verzweiflung über die Unkenntnis von Konventionen oder den Sinn und Unsinn mancher impliziten Regeln in der Wissenschaft hilft es vielleicht, sich die Vorteile der Konventionen ins Gedächtnis zu rufen.