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Wer promoviert, bewegt sich zwischen Erwartungen, Konventionen und individuellen Lern- und Entwicklungsprozessen. Das ist nicht einfach zu bewältigen und hat auch Auswirkungen auf die Promotionsbetreuung. Auch Promotionsbetreuende sind nicht frei, denn auch sie haben eine Geschichte und sind Teil eines normierten Systems.

Promotionsbetreuung und Coaching?

Darüber, wie das zusammenpasst und wann Promotionsbetreuende Coaches sind, habe ich im Podcast mit Prof. Dr. Dr. Oliver Reis gesprochen. Der ist nämlich Coach und Promotionsbetreuer.

gekürtze, bearbeitete Abschrift Coachingzonen-Podcast Episode 47 

Promotionsbetreuer oder Coach?

Jutta Wergen: Bist Du Bei der Betreuung von Promovierenden Promotionsbetreuer oder Coach?

Oliver Reis: Eigentlich ist jede Promotionsbetreuung immer auch ein Coaching. In der Regel schauen Promotionsbetreuende sehr stark auf den fachlichen Entwicklungsprozess. Beim Promotionscoaching wird darauf geschaut wie Promovierende die Promotion bewältigen.

Im Coaching spielen die Rahmenbedingungen, die Faktoren der Person, der Biografie, der Netzwerke, also alles das, was gelingende Faktoren sind, noch mal eine sehr viel stärkere Rolle als fachliche Fragen. Das kann aber in einem realen Promotionsprozess auch ineinander gehen. Promotionsbetreuung ist eine eigenartige Formation, denn einerseits müssen Promovierende Konventionen übernehmen und sie müssen sich auch individuell, jenseits dieser Konvention weiterentwickeln. Wer sich nur individuell weiterentwickelt, kann nie eine anerkannte Arbeit schreiben und wer nur die Konventionen abarbeitet, wird nie wirklich eine Promotion schreiben. 

Das Spannungsverhältnis von Konventionen und Individualisierung in der Promotionsphase beinhaltet eine starke Dynamik. Und gleichzeitig ist diese Phase eine starke Lernphase, in der Promovierende stark mit Konventionen zu tun haben, Normen im Kopf haben müssen und ihren Weg selbst gehen müssen. 

Im Coaching kommen die Leute in der Regel sehr stark mit Konventionen und dann geht es darum, sie bei ihrer Individualisierung zu unterstützen, dass sie ihren eigenen Weg daraus machen, ihre Frage noch mal schärfer entwickeln ihren Zeitplan machen. 

Das ist im Coaching ganz wichtig. Und als Promotionsbetreuer muss ich ja auch genau diese Spannung im Kopf behalten. Also wenn ich als Betreuer Promovierende dazu verpflichte es so zu sehen, wie ich es sehe, werden die nur sehr schwer fertig. Das ist dann keine echte Promotion, sondern einfach eine weitere Hausarbeit oder eine größere Hausarbeit. Aber wenn es wirklich eine Promotion und akademische Leistung ist, dann gibt es ja diesen Moment, dass die Promovierenden mich übersteigen müssen und eigene Wege geben müssen. Das muss sich ja auch in der Betreuung widerspiegeln und irgendwann auch Freiräume eröffnen.

Da ist Coaching für mich als Betreuer eine ganz wichtige Ressource und ich merke, dass ich mich diszipliniere und jetzt nicht noch weitere Themen vorschlage, weitere Literatur empfehle. Ich muss dann die Frage stellen: „Was ist denn Ihr Weg? Wie wollen Sie es machen? Was ist Ihr Wunsch? Welche Frage haben Sie selbst?“

Ich muss dann pflichtbewusst einen Perspektivenwechsel vornehmen, weg von dem, was ich mir wünsche, was ich selber schreiben würde. Ich muss dann fragen, was der eigene Weg der Promovierenden ist, den ich dann beraten kann. Und da habe ich dann ganz viele Anteile aus dem Coaching.

Promotionsbetreuung ist ein dynamischer Prozess

Jutta Wergen: Und wenn Du es besser weißt als Deine Promovierenden? Du hast ja viel mehr Expertise, wie es ausgeht, wenn die Promovierenden ihren inhaltlich falschen Weg weiter verfolgen?

Oliver Reis: Je nach Promotionsfortschritt habe ich eine andere Rolle. Und wenn ich mir eine Promotion in drei Phasen vorstelle, dann weiß ich es meist nur zu Beginn besser. Bei einer fortgeschrittenen Promotion haben sich Leute 2-3 Jahre in Literatur eingearbeitet, in Themen, denen ich nur sehr entfernt folge, bei denen ich manche Spitzen gar nicht mehr kenne. Und wenn dann nach dem Weg frage, gibt es Situationen, in denen ich wirklich darauf angewiesen bin, dass die Promovierenden eigene Entscheidungen treffen. Anders ist das in der Anfangsphase, wenn man ein Thema abspricht, etwa wenn Promovierende mit Themen kommen, von denen ich schon weiß, dasssich  diese nicht realisieren lassen, dass es dazu keine Literatur gibt, oder die Datenlage dazu schwierig ist.

Wenn ich dann fragen würde, was der eigene Weg der Promovierenden ist, wäre das nicht ehrlich, weil ich es dann einfach besser weiß.

In Wirklichkeit ist das in der Promotionsbetreuung sehr stark dynamisch, vor allem wenn es eine akademische Promotion ist. In einer akademischen Promotion kann man über die Promotionsbetreuung hinauswachsen, weil man das Wissensgebiet erweitert hat. Es Promotionsbetreuer merkst Du dann, dass Du Expertise für den Rahmen hast, für das Gebiet und natürlich auch für die Methoden und Du merkst auch das ist der Punkt, wo sich das verändert.

Coachinghaltung als Rollenergänzung

Wenn Du es Promotionsbetreuer nicht kapierst, dass es diesen Punkt gibt und dann immer rahmst, wenn dann Deine Expertise immer noch weiter im Vordergrund steht, müssen Promovierende sich massiv anpassen. Darum gehört zur Promotionsbetreuung, die sicheren Punkte Expertise zu verlassen. Bei den Promotionen, die ich bisher betreut habe, habe ich diesen Punkt immer verloren.

Und da wird die Coachinghaltung als Rollenergänzung für die Promotionsbetreuung eine ganz wichtige Option. Als Coach nutze ich andere Fragen, andere Fragetechniken und Betreuungstechniken, die einen neuen Spielraum eröffnen.

Am Anfang Disziplin, später Freiheit

Am Anfang einer Promotion vereinbare ich Meilensteine. Am Anfang ist es wichtig zu disziplinieren, zu rhythmisieren. Später kann das ein massives Kontrollinstrument werden. Und da ist es für mich als Promotionsbetreuer wichtig, die Art der Rückmeldungen zu verändern.

Jutta Wergen: Das bedeutet, dass Promotionsbetreuende am Anfang eher Vorgaben machen und im weiteren Verlauf der Promotion vom fachlichen Experten zum Coach werden?

Oliver Reis: Ich würde das jetzt nicht ganz so schematisch sehen, aber wenn ich in die Promotionsbetreuung einsteige, wäre das ein implizites Bild. Beispielsweise hatte ich eine Promotionsanfrage von einer Promovierenden, die ihre Rolle in der Institution noch gar nicht richtig gefunden hat und sie wollte eine kooperative Promotion machen. Die war so wenig konventionell, dass sie nicht den Einstieg in die Promotion gefunden hat.

Am Anfang möchte ich als Promotionsbetreuer sehen, dass sich jemand in ein bestimmtes Koordinatensystem einfügt. Und erst dann kann meine Betreuung richtig greifen, erst dann kann ich die Forschungsfrage ausrichten, ich kann die Methode klar auswählen. Im Grunde muss sich jemand erst einfügen.

In der Promotionsbeziehung muss es schon am Anfang ein deutliches Signal geben, sich bestimmten Konventionen zu unterwerfen. Das ist am Anfang ein ganz wichtiges Signal. Ich glaube beispielsweise, dass diese Promovierende eigentlich sehr klug war. Sie hatte gute Ideen, wollte sich aber nicht in eine bestimmte Denke festlegen. Statt unsere Absprache einzuhalten hat sie das Thema gewechselt, die Methode gewechselt den Gegenstand gewechselt, sie kam immer mit neuen Ideen was sie gerne machen würde, eigentlich war das sehr lebendig, aber wir kamen nicht in eine Promotionsbeziehung.

Am Anfang der Promotionsbeziehung müssen sich Promovierende den Konventionen unterwerfen, damit eine Promotionsbeziehung eingegangen werden kann. Und dann kann das auch wieder freier werden. Wenn Promovierende ganz klar einsteigen, dann werden sie erst mal diesen Formungsprozess durchlaufen, bis sie irgendwann auch sagen, dass sie im Fach, im Thema sind und dann anfangen können ihr eigenes Ding zu entwickeln.

Erste Normierung durch Passung

Jutta Wergen: Unterwerfung bedeutet, dass die die Promovierenden anerkennen müssen, dass es bestimmte Regeln gibt und dass am Anfang die Promotionsbetreuung diese Regeln vorgibt? Und später, wenn dann die Promotionsbetreuung auch das Vertrauen dazu hat, dass diese Promovierenden in den Promotionsprozess reingekommen sind, wechselt Deine Rolle als Betreuer eher ins Coaching und in die Begleitung?

Oliver Reis: Nach Bourdieu oder Foucault meine ich Unterwerfen im Sinne von Habitualisierung. Es geht darum, sich so subjektivieren zu lassen, dass man bestimmte Prädikate auf sich nimmt. Dabei geht es um Kleidung, Körperhaltung und Arbeitstechniken.

Die erste Normierungsphase geschieht oft durch Passung. Man sucht sich Promotionsbetreuende, bei denen die Passung schon in der Vorauswahl geschehen ist. Sie haben bei der Promotionsbetreuung studiert, haben dort schon vielleicht gute Noten bekommen, haben dort schon Prüfungen gemacht. Der Passungsprozess ist also vorher schon abgeschlossen. 

Ein externes Coaching würde hier vielleicht die Frage aufwerfen, ob diese Passung richtig ist, ob die Promovierenden dort richtig sind, ob sie sich dort formen lassen wollen und den Habitus übernehmen möchten.

Jutta Wergen: Auf die Frage, ob man da richtig ist, hätte ich wahrscheinlich immer mit Nein geantwortet und ich würde es heute noch nicht wissen, ob ich richtig gewesen bin. Das hat etwas mit meiner Biografie zu tun und hinter allem steht die Frage: „Wo kommst Du her und darfst Du überhaupt promovieren?“

Auch aus meinen Coachings weiß ich, dass das oft das Problem ist. Und wenn jetzt die Promotionsbetreuung kommt und diese Frage stellt, stelle ich mir das wirklich schwierig vor.

Darf ich promovieren?

Oliver Reis: Ich komme selbst aus einer Familie, in der ich der Erste bin, der promoviert hat. Von der Professur gar nicht zu sprechen, die war ein Klacks gegenüber der mentalen Frage, ob ich meinen Vater eigentlich so bloßstellen kann. Das Abitur war schon ein anderer Weg als der meines Vaters, das Studium war ein anderer Weg, ich habe etwas studiert, von dem ich dachte, dass er das nachvollziehen kann. Dass ich etwas studiere, dass mein Vater mitgehen kann, war für mich eine Frage. Und bei meiner Promotion war schon die Frage, ob ich das überhaupt darf, denn es war eine Entfremdung. Mein Vater hat das leider bis zuletzt nicht akzeptieren, also nicht innerlich zulassen können.

Und dann kommen die Normen von außen, Normen am Lehrstuhl und ich war immer mit Grundfragen beschäftigt. Die Frage ob ich hier richtig bin, ob ich das überhaupt kann, ob ich überhaupt ein Promovierende bin.

Zu meiner eigenen Geschichte: Ich habe Grundschullehramt studiert und Grundschullehramt ist ja eigentlich unterhalb der Regelstudienzeit, d. h. dass Du eigentlich keine direkte Promotion Voraussetzung hast. Du bist eigentlich nicht promotionsfähig. Und das sagt man Dir auch so und Du musst zunächst einmal ein Übergangstudium machen bis Du überhaupt promotionsfähig bist. Und während dieser Zeit promovierst Du aber schon und musst Dich die ganze Zeit mit der Frage beschäftigen, ob Du hier eigentlich richtig bist oder nicht.

Und ich denke, dass Promovierende, am Anfang der Promotion diese Frage stellen, gut beraten sind ein externes Promotionscoaching in zu nehmen. Und das war eine Person, die diese Frage erst mal nicht für unnormal hält. Zunächst ist es eine Frage der Biografie, dann kommt noch mal die Frage der Habitualisierung obendrauf. Es ist nicht nur so, dass Du etwas verlässt, etwas loslässt, Du bist nicht frei davon zu entscheiden, wie Du werden willst, sondern Du triffst auf ein hochnormatives Konzept.

Jutta Wergen: Wie können Promotionsbetreuende mit den Fragen von Passung umgehen?

Oliver Reis: Ich habe eine Professur für Religionspädagogik mit dem Schwerpunkt Inklusion. Von daher betreffen mich solche Fragen von Passung und nicht Passung und Vielfalt und Homogenisierung und wo lässt man sie zu? Unterdrückt man sie sind ja auch Fragen, die mich als tatsächlich auch meine eigenen Professionalisierung begleiten. Ich bin da ja überhaupt nicht naiv.

Promotionsbetreuende sind Teil eines Systems

Die eigene Habitualisierung z. B. der Professuren oder als Professoren und Professorinnen, die ist ja selbst über Jahrzehnte gelaufen und du bist ja selbst Teil eines bestimmten Systems mit bestimmten Erwartungen. Und Du hast als Promotionsbetreuer ja auch wahnsinnig Angst, dass Deine Promovierenden zur Blamage Deiner selbst werden. Und nichts ist so schlimm wie eine Promovierende, die Du betreust, die es nicht schafft, die Konventionen auf einer Tagung einzuhalten. Du bist ja nicht frei zu sagen: „Hey, mach’s, mach’s anders“. Da wirken ja auchHabitualisierungen, die Dich in der Promotionsbetreuung begleiten. Selbst wenn Du etwas anders machen möchtest, heißt das nicht, dass Du irgendetwas anders machen kannst. Am Ende stehende andere Menschen in der Promotionskommission, es kann es sein, dass die ganze Fakultät Teil der Promotionskommission ist, die über Deine Arbeit entscheidet.

Das bedeutet, dass Du jedes Gutachten, das Du als Promotionsbetreuer schreibst, du immer im Angesicht Deiner ganzen Kolleginnen und Kollegen Schreibst. Das heißt, die Normierung ist sozusagen etwas, was an Dich von der Institution delegiert wird.

Deswegen verstehe ich sehr gut, dass die meisten Kolleginnen und Kollegen die Promotionen betreuen, einfach die Erwartung haben, dass Promovierende sich anpassen. Wenn diese das in einem gewissen Zeitraum nicht hinbekommen, wird der Prozess beendet. Da wird wenig getan. Man sollte sich das wirklich nicht naiv vorstellen, weil Du bist als Promotionsbetreuer nicht frei und die Promovierende sind auch nicht frei. Also sind schon hoher Zwang und hohe Fremdbestimmung im Spiel.

Die Fragen von Passung spielen keine Rolle, sofern die Passung da ist. Diese Fragen sind in den Rahmen, in die Vorentscheidungen ein gebaut und wenn es gut läuft man das gar nicht.

Jutta Wergen: Vielleicht merkt man ja auch manchmal, wenn es schlecht läuft, nur dass es schlecht läuft und man weiß nicht warum. Und dann ist es in dieser asymmetrischen Beziehung zwischen Betreuung und Promovierenden so, dass die Promovierenden ganz oft merken, dass sie nicht richtig sind. Und sie wissen nicht, was sie ändern können.

Oliver Reis: Eine Promotion ist ein im ergänzt das Ereignis. Mit dem ergänzt meine ich, dass sie erst im Rückblick überhaupt eine logische, klare Struktur bekommen haben. Ich habe Leute promovieren sehen, die gescheitert sind und die waren nicht weniger klug, die haben sich nicht weniger angestrengt. Die haben versucht, ihren Job zu machen.  

Ich glaube nicht, dass man das Problem mit Plan und Aufgabenpaketen anpacken kann. Ich glaube, es scheitert einfach daran, dass man erst im Nachhinein sieht, was nicht funktioniert hat. Während der Promotion sieht man das nicht.

Jede gelingende Promotion ist ein Wunder

Jede gelingende Promotion ist für mich ein Wunder. Das ist so komplex, dieses Einfädeln Deiner eigenen Biografie in diese Normen und dann zugleich darüber hinauswachsen mit einer eigenständigen Leistung, die nicht nur reine Reproduktion ist.

Und manchmal gibt es Schlüsselerlebnisse: Manchmal kann man sagen, dass diese eine Tagung der Durchbruch war, weil der erste Vortrag gut gelungen ist, aber für andere ist genau dieser erste Vortrag das Schalter- Erlebnis und sie erholen sich nie wieder davon.

Es ist daher ganz schwierig, zu sagen, wie genau sich dieser Prozess verändern muss. Es kann auch sein, dass es an mir als Promotionsbetreuer liegt. Ich habe heute in einem Betreuungsgespräch noch gesagt, dass die Promovierende aufhören soll, bestimmte Sachen immer auf sich zu beziehen. Aber ich weiß nicht, wie sie das hört? Hört sie das als Ermutigung und macht es demnächst anders? Oder ist das nicht schon wieder eine Unterstellung, dass sie etwas nicht kann? Und dann versucht sie es wieder, indem sie mir versucht nachzuahmen, mir gerecht zu werden, wird sie es genau wieder verfehlen, weil sie es dann eben gerade nicht schafft. Und ob sie selbst jetzt in der nächsten Handlung, wirklich etwas anders macht, ob sie diesen Weg oder einen anderen Weg geht.

Und ich weiß, dass ein Coaching diese Weg-Entscheidung klarmachen kann, es kann Promovierende darauf vorbereiten. Aber sind Sie jetzt mit Ihrer Biografie und Ihrem Leben wirklich in der Lage, den anderen Weg zu wählen, der Sie zur Promotion führt? Da kannst Du in einem Coaching empfehlen, das Gespräch mit dem Promotionsbetreuer zu suchen. Und ihr macht einen klaren Matchplan und die Promotionsbetreuung kuckt die Promovierende mit so einem Gesicht an, dass die Promovierende diesen Satz nicht sagen kann. Dann war das Coaching nicht schlecht, die Promovierende nicht schlecht und die Promotionsbetreuung war auch nicht schlecht.

Basics, um 95 % gute Promotionsbetreuung anzubieten

Jutta Wergen: Ich muss jetzt mal wirklich sagen, dass ich in meinen Coachings Berichte über Promotionsbetreuung höre, die sind haarsträubend. Da wundere ich mich, dass jede Professorin und jeder Professor Promovierende betreuen darf.

Oliver Reis: Ich glaube, es gibt schon, es gibt schon Basics. Dazu gehören die Vereinbarungen im Promotionsprozess und dass die Erwartungen transparent sind. Auf was Du triffst, ist das Mysterium der letzten 5 %, die immer noch entscheiden können ob Promovierende es schaffen oder nicht schaffen können. 

Es geht, darum notwendige und hinreichende Bedingung zu unterscheiden. Die hinreichende Bedingung ist, ja die Bedingung, die dafür sorgt, dass etwas wirklich auch in der Folge passiert. Und das, da würde ich sagen, da gibt es diese Lücke. Aber ob eine notwendige Bedingung erfüllt ist, da gibt es einiges. Ich beobachte oft fehlenden Respekt. Ich kenne Promotionsbeziehungen, in denen die Leute immer noch klein gehalten werden, etwa indem sie wirklich minderwertige Tätigkeiten tun müssen. Ich kann ja Leuten ständig minderwertige Aufgaben geben und damit ja auch spiegeln, dass sie keine anständige Entwicklung machen. Und da ist die Frage, wie ich eigentlich Respekt vor der Person ausdrücke, mit welchen Praktiken ich das mache? Wie stelle ich als Promotionsbetreuung sicher, dass Promovierende ein Gefühl dafür entwickeln können, dass die Promotionsbetreuung eine Entwicklung sieht? Das mache ich, in dem sich Aufgaben verändern. Das kann die erste Tagung sein, wenn die Adressierung der ersten Tagung kommt, dann hat man ein bestimmtes Level erreicht. Nach anderthalb, zwei Jahren kommt dieser erste öffentliche Ort. Dafür sorge ich als Promotionsbetreuung und die Promovierenden wissen dann auch, dass die Promotionsbetreuung die Entwicklung wahrgenommen hat. Welche Praktiken können diese Entwicklung stützen?

Transparenz ist ein ganz wichtiges Thema und sich Zeit für die Promovierenden nehmen. Ich kenne Promovierende, die müssen um Zeitfenster kämpfen. Die kriegen dann alle halben Jahre mal irgendwie ein Termin oder sehen die Promotionsbetreuung nur in einem Graduiertenforum oder auf einem Treffen mit allen Promovierenden zusammen. Und dann ist es sofort wieder eine akademische Grundsituation, wo ich mich als Promovend/Promovendin noch nicht zeigen kann und auch nicht, was ich gerade fühle. Also da gibt es schon so Basics, wo Promotionsbetreuung der sehr viel dafür tun können, überhaupt erst mal diese 95 % herzustellen. Und dann kommt eben noch mal diese Spitze. Also dann kommt immer noch mal dieses letzte Wagnis, diese letzte Lücke.

Promovieren oder einen 8000er besteigen

 Oliver Reis: Aber es scheitert schon ganz oft, dass dafür das es kein Basis Camp gibt keine gut vorbereiteten Zwischen-Camps und dann, wenn man den 8000er schaffen will, schon nach 2000 m scheitert. Da fehlt einfach schon die Grund-Infrastruktur überhaupt, mit regelmäßigen Treffen, mit Treffen von Promovierenden, die schon weiter sind, wo eine systematische Vernetzung stattfinden kann. Und eine Grund-Infrastruktur die kann einen wirklich schon mal bis 6000 m führen und ob man dann die letzten 2000 m macht und schafft, das ist dann für mich auch wirklich nicht mehr herleitbar.  

Ich möchte hier noch mal eine eigene Geschichte erzählen. Meine erste Promotion war ein unglaublicher Kampf, sechs Jahre viele Fragen, viele Zweifel. Und dann habe ich ja gedacht, ich mach so was nie wieder. Also ich werde nie wieder promovieren. Das tue ich mir nicht an. Und dann ist mir aber klar geworden, dass ich in der Theologie eine Professur nur kriegen kann, wenn ich eben noch meinen Doktor theol. mache.

Und das ist eigentlich für mich die härtere Version von Promotion gewesen, weil ich dafür noch mal Sprachen lernen musste und ich musste mich Rigorosa unterwerfen, 8 Hammer-Rigorosas. Das wusste ich aber vorher schon und ich dachte, dass ich gut vorbereitet bin. Und ich dachte, ich könnte diese Krise überspielen. Ich wusste ja, wie es geht.

Ich bin zum Promotionsbetreuer gegangen und hab meine fertige Arbeit abgegeben. Ich hatte mich vorher betrogen, denn ich hab einfach gesagt, ich schreibe ein Buch und nicht eine Dissertation. Und als das Buch fertig war, habe ich mir dann Leute gesucht, die das als Promotion anerkennen würden. Und ich habe gedacht, das geht dann ja, da kommen dann noch die formalen Sachen, aber es wird alles werden. Aber ich wurde dann doch noch mal in den Konventionsprozess reingedrückt. Und da habe ich doch mal wieder mehr Respekt vor diesem „Projekt Dissertation“ erfahren.

Und mit dem eigentlichen Habitualisierungsprozess bis hin zur Prüfung und mit dem Geschehen klarzukommen, das war lustig. Gerade weil ich selbstbewusst aufgetreten bin und das Buch hingelegt habe, das ging dann gar nicht. In den Rigorosa kam es dann und in dem Zweitgutachten wurde ich dann noch mal so richtig klein gemacht. Das Zweitgutachten ist einfach eine bloße Auflistung von Dingen, die nicht gut sind. Das war völlig skurril und hat mir noch einmal klargemacht, dass es im Promotionsprozess eine Choreografie gibt, die man auch wirklich tanzen muss. 

Also dieses Zusammenkommen, die Passung mitgehen, viel mitlernen, mit gucken, zeigen, dass man sehr brav ist und sehr schön lernen kann, und das alles super macht und genauso macht wie die Betreuenden. Und dann muss man anfangen eigene Daten, die Methodik weiter zu entwickeln oder die Theorie, den Theorierahmen zu verändern. Man stellt erste Fragen, man geht auf eine Tagung, man löst sich. Aber man zeigt auf, Promotionsbetreuer ich habe Dich immer noch lieb und ich komme natürlich von Dir. Du bist im Grunde erweitert worden. Da gibt es offenbar bis zuletzt noch Formungen, die sich in den Begriffen Doktorvater, Doktormutter widerspiegeln. Das sind Beziehungsspiele, die man in einer Promotion nicht überspielen kann. Man kann nicht sagen, wir sind zwei erwachsene Leute und wir machen jetzt hier die Promotion und dann ist das einfach gut und fertig. Das wird so nicht funktionieren, das muss man immer damit rechnen.

Jutta Wergen: Wenn man diese Metapher von Familie mit in die Promotion bringt, also Doktorvater und Doktormutter, dann würde ich sagen, dass die Leute die in mein Coaching kommen oft in ihrer Adoleszenz-Phase sind, in der sie sich von ihrer Promotionsbetreuung lösen, und eigene Wege gehen möchten. Ich selbst bin übrigens aus diesem Grunde auch mit meiner Promotion nicht im Reinen, weil meine Promotionsbetreuerinnen unterschiedliche Wege gesehen haben und ich versucht habe, beide Wege zu gehen.

Kann Promotionsbetreuung gelernt werden? 

Oliver Reis: Es ist eine Grundfrage, ob man Promotionsbetreuung als Lernprozess denken darf, ob man Promotionsbetreuung lernen kann oder nicht. Es gibt mit Sicherheit eine formale Seite, die man lernen kann. Man kann sich die Basics auf einen Zettel schreiben und sich immer wieder daran erinnern. Aber wenn die Promotionsbetreuung eine Choreografie ist, wird sie von vielen getanzt und dann gibt es noch den Tanzsaal, die Musik, den DJ und die eigenen Tanzlehrer. Und ich kann mich als Promotionsbetreuer in der Situation reflektieren, ich kann mich dabei beobachten, aber es ist schon eine eigene Situation.

Und man kann ja auch Kurse machen, das habe ich selber schon, aber ich bin ganz sicher dass die Realität das Gelernte überschreibt. Ich will überhaupt nicht sagen, dass solche Schulungen nicht sinnvoll sind. Viel wichtiger als die Kognition, zu sagen: „Macht das“, als Checklisten, müssten Promotionsbetreuende zunächst einmal bereit sein beobachten zu lassen. Man müsste wirklich einmal Szenen herausgreifen und dann fragen: „Was treibt Dich gerade an?“ Und dann müsste man überlegen, ob die betreuenden diese Prämisse bejahen möchten und mit der Folge leben möchten. Und dann müsste man sich fragen, ob sie selbst glücklich oder unglücklich in dieser Situation sind. Und dann müsste man sie fragen, ob sie bereit sind die Folgen zu tragen, wenn sich Dinge verändern.

Jutta Wergen: Also Supervision der Supervisoren?

Oliver Reis: Ich bin da inzwischen geheilt, was kognitive Botschaften angeht oder was PowerPoints bewirken. Selbst wenn ich versuche, Rollenmuster klarzumachen, wenn ich Phasenmodelle vorstelle, am Ende musst Du Dir das Handeln der Leute in den Rollen anschauen. Dann wird der Rahmen, in dem sich die Leute bewegen, deutlich. Und das kommt in einer Schulung vielleicht gar nicht vor. Das sind schon sehr komplexe Prozesse.

An den meisten Hochschulen existieren Hilfssysteme und die meisten Professorinnen und Professoren akzeptieren diese Hilfssysteme. Beispielsweise haben die meisten nichts mehr gegen Graduiertenschulen und viele finden gut, dass es Coaching gibt. Aber im Grunde ist es falsch, weil es sie dabei entlastet, sich mit der Frage zu beschäftigen, was eigentlich bei Ihnen im Kern los ist. Und ich bin mir nicht sicher, inwiefern dieser Rahmen den Charakter von Promotion verändert, indem Promotion verschuldet werden stellt sich die Frage, ob das überhaupt noch akademische Promotionen sind, mit denen man in der Gesellschaft bestimmte Handlungsmöglichkeiten erlangt. Sowie Sekundarstufe eins und Sekundarstufe zwei und dann kommt Sekundarstufe drei das Studium und dann Sekundarstufe vier, die Promotion. Dann brauchen die auch gar kein Coaching, dann geht es darum, Arbeitspakete abzuarbeiten. Aber solange noch ein Rest Kern von Akademisierung ist, bleiben trotz Graduiertenschule die Probleme und die Fragen und die Aufgaben.

Und die Probleme esind weiterhin, wie schaffe ich es als Promotionsbetreuung die Balance von normativen Rahmen und normativen Erwartungen, von Habitualisierung dem Individuum zu vermitteln mit seiner persönlichen Biografie seines eigenen Weges. Und die Frage nach der gelingenden Vermittlung finde ich spannend.

Klare Erwartungen und sensibel für Widerstand

Jutta Wergen: Welchen Tipp hättest Du für eine Promotionsbetreuung, die ihren ersten Promovenden, ihre erste Promovendin betreuen werden?

 Oliver Reis: Einerseits würde ich sagen, dass sie sehr klar mit ihren Erwartungen und umgehen sollen und klare Erwartungsstrukturen haben sollen. Sie sollten versuchen, so gut es eben geht, ihre Erwartungen den Promovierenden zur Verfügung stellen. Promovierende können sich dann sehr schnell dazu verhalten, entscheiden, dass sie diese Erwartungen erfüllen wollen, oder eben nicht. Dann müssen Promovierende nicht lange verzweifelt in diesen Strukturen verweilen.

Andererseits würde ich sagen, dass sie sehr sensibel Momente des Widerstands sein sollen. Wenn Promotionsbetreuung bemerken, dass Promovierende Ihnen mit Widerstand begegnen oder sie selber Widerstand verspüren, sollten Sie Gespräche führen. Sie sollten prüfen und entscheiden, ob sie ein Recht dazu haben auf ihren Erwartungen zu bestehen. Und andererseits kann es ein Moment sein, in dem sich Beziehung verändern müsste.

Dieser Moment wird in jeder Promotionsbetreuung kommen, dass von den Promovierenden ein Nein kommt, dass sie die Arme verschränken, dass die Augen woanders hingehen, dass jemand eine andere Theorie möchte, dass jemand mal eine Grundsatzfrage stellt. Und dann ist es wichtig, dass nicht zu überflügeln, indem man die Konventionen und Erwartungen verstärkt, sondern dass man sich dann einen Gesprächspartner sucht, um herauszufinden, was da gerade passiert.

Jutta Wergen: Welchen Tipp hast Du für Promovierende, die ein erstes Gespräch mit einer möglichen Promotionsbetreuung führen möchten?

Oliver Reis: Sie sollten sich informieren, was die Gepflogenheiten sind inklusive der Dresscode. Wenn ich als Promovierender merke, dass ich diese Gepflogenheiten nicht nur liebe, sondern wenn ich Vorbehalte habe, dann würde ich mir eine kleine Ironie erlauben. Entweder auf dem Thesenpapier oder dem Exposé, bis hin zu meinen Schuhen oder meiner Frisur nur meine Brille oder meines Jacketts. Mein Tipp wäre: Zeige schon von Anfang an eine hohe Anpassungsbereitschaft, aber mache auch klar, dass Du einen eigenen Kopf hast. Das sollte man am Anfang schon zeigen, dass man Anpassungstermin ist aber einen eigenen Kopf hat. Es geht nicht darum, sich durchzusetzen, sondern darum zu bitten, wahrgenommen zu werden.

Gerade wenn man die Fragen hat, wo man herkommt, ob man dahin passt, dass das gegenüber zumindest die Chance hat, darauf einzugehen und auch für sich zu thematisieren. Das bedeutet sich eben nicht möglichst glatt zu geben, unangreifbar zu sein. Denn diese Frage kommt dann irgendwann sowieso. Und dann kommt die Frage mit einer Wucht.

Prof. Dr. Dr. Oliver Reis

Prof. Dr. Dr. Oliver Reis

Professur für Religionspädagogik unter besonderer Berücksichtigung von Inklusion am der Universiät Paderborn

Oliver Reis war damals an der TU Dortmund mein Promotionscoach.

Im Podcast spreche ich mit ihm darüber, ob Promotionsbetreuende auch Coach  für ihre Promovierenden sind.

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