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Soziologie – Promotion und dann raus aus der Wissenschaft?

Wie kommt man eigentlich mit einem Studium und einer Promotion in den Sozialwissenschaften/ Fachrichtung Soziologie zu BMW in München und wie nutzt einem die Promotion außerhalb der Hochschule? Das habe ich Herrn Dr. Josef Köster, Teamleiter Kundensegmentierung, Customer Foresight und Innovationsstudien BMW Group München, Deutschland, gefragt. Hier die Antworten und ganz am Schluss eine ganz wichtige Empfehlung, besonders Promovierende der Sozialwissenschaften (die Empfehlung steht ganz unten, ist auch für andere Disziplinen interessant!).

josef koester

Dr. Josef Köster

Als Soziologe zu BMW?

Ich bin vielleicht der einzige Soziologe bei BMW, der tatsächlich Soziologie betreibt. Eigentlich mache ich das, was ich mache, schon viel zu lange. Bei BMW, wie auch bei vielen anderen Großunternehmen ist Jobrotation angesagt, etwa alle drei Jahre eine andere Funktion zu suchen, ist der Normalfall. Ich bin jetzt seit 14 Jahren im Prinzip auf der gleichen Funktion, das Aufgabenfeld wurde nur mehrmals erweitert und ich habe mich vom Einzelkämpfer zum Teamleiter entwickelt. Der Grund für mein langes Verweilen ist inhaltlich begründet: Ich bin innerhalb der Marktforschung für die „allgemeineren“ Themen zuständig; ich forsche weniger zu konkretem Kundenfeedback zu unseren Produkten oder Marken, sondern interessiere mich für grundsätzliche Entwicklungen kundenseitig: Wie entwickeln sich Mobilitätspräferenzen, welchen Stellenwert hat das Auto in einer Gesellschaft, wie lässt sich eine Gesellschaft soziokulturell segmentieren.

Zu welchem Thema hast Du promoviert?

Ich habe im Fach Soziologie promoviert, mein Thema lautete: „Moderne Privatheitsformen im Kontext neuer Sozialstrukturen. Eine quantitative Exploration“. Ich habe hier untersucht, inwieweit sich „Privatheitsformen“ (also Formen der Haushaltszusammensetzung und der Intimbeziehung jenseits der traditionellen Ehe) sich in (wechselseitiger) Abhängigkeit von soziokulturellen Gesellschaftssegmenten (in diesem Fall: Ein modifiziertes Modell der Schulzeschen Erlebnismilieus) darstellen. Also, ein Thema, was mit meiner späteren Berufstätigkeit in der Marktforschung wenig zu tun hatte.

Was war eigentlich Deine Motivation zur Promotion?

Nach einer kurzen Phase, in der ich mit einer Karriere in der Wissenschaft geliebäugelt hatte, hatte ich schon geplant, nach dem Studium in die Marktforschung (mit Vorliebe für die Automobilbranche) zu gehen. Das Angebot des Professors, der meine Diplomarbeit betreute, mit mir eine Mitarbeiterstelle zur Promotion zu besetzen, und der Umstand, dass ich mich an der Uni pudelwohl gefühlt habe, hat zu dieser Zwischenstation geführt. Ich war also zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Fleck, sonst hätte ich nicht promoviert.

Hattest Du da bereits eine Alternative zur Promotion?

Ohne Promotion wäre ich direkt in die Marktforschung gegangen. Die Promotion hätte ich nicht gebraucht, ich hatte am Ende des Studiums das Angebot zur Promotion, das Thema interessierte mich und so habe ich erst einmal promoviert.

Inwieweit hat Dich die Promotion auf Deine spätere Tätigkeit vorbereitet?

Konkret die Promotion – wenig! Was ich fachlich an Qualifikation brauchte, habe ich im Studium gelernt. Allerdings hat mir mein Promotionsthema geholfen, nach meinem Berufseinstieg in einem Marktforschungsinstitut meine heutige Stelle bei BMW zu bekommen (durch die Promotion war ich als Fachmann für Kundensegmentierung ausgewiesen), und der Titel hat sicher weder bei der Einstellung noch bei der Einstufung geschadet…
Mein Promotionsthema habe ich mir selber ausgesucht, mein Doktorvater hatte seinerzeit keine großen forscherischen Ambitionen mehr, hat sich stark auf Verwaltung und Lehre konzentriert und mich machen lassen. Ein Glücksfall, würde ich sagen…

Welche Schlüsselkompetenzen hast Du in der Promotion erworben, die Dir nachher im Beruf genutzt haben?

Stichworte: Projektmanagement, Kommunikation, Frustrationstoleranz.
Das selbständige Denken und Arbeiten habe ich in der Promotion gelernt. Das war nachher im Beruf wichtig. Die Kompetenz zu kommunizieren war in meiner Promotion drittrangig, für eine Stelle als Marktforscher war sie nachher zentral. Das Projektmanagement habe ich in der Promotion gelernt, auch im Beruf geht’s nicht ohne, sonst versinkt man auch dort im Chaos.
Frustrationstoleranz: Man sagt, das braucht man. Ich bin insofern eine glückliche Ausnahme, als ich nie mit nennenswerten Frustrationsschüben zu kämpfen hatte und mich auch nie (nach allem, was ich von anderen Projekten weiß, sehr ungewöhnlich) mit Zweifeln bzgl. Sinn und Relevanz meiner Arbeit zu kämpfen hatte.
Kleine Empfehlung: Ruhig mal mit den Dissertationsthemen oder den fertigen Promotionen von anderen vergleichen (schlauerweise nicht mit Köpfen vom Schlage eines Niklas Luhmann) – sondern mit anderen! Es müssen keine nobelpreisverdächtigen Dissertationen sein.

Wäre ein Mentoring hilfreich gewesen?

Mentoring hatte ich nie und habe ich auch nie vermisst. Ich ziehe es vor, eigene Erfahrungen zu sammeln und vielfältige Erkundigungen einzuholen. Ich betreue bei BMW gerade eine Promotion – was die Doktorandin von den Tipps von ihren beiden MentorInnen berichtet, ist nicht geeignet, meine Meinung zu revidieren: Sehr subjektiv und wenig verallgemeinerbar. Es mag natürlich auch einfach bessere Mentoren geben… Logischer Schluss: Meine Meinung kann für manche nichtzutreffend sein.

Konntest Du das, was Du als wiss. Mitarbeiter an der Universität gelernt hast, in Deinem späteren Beruf einbringen?

Die Lehre hat mir vielleicht etwas mehr Standing bei Marktforschungs-Präsentationen verschafft – allerdings war das Reden vor einer Menge auch vorher nicht mein ärgstes Problem.

Worauf hat Dich die Promotion nicht vorbereitet?

Auf die Notwendigkeit, auch komplexe Informationen einfach (für Laien) und ohne geschriebenen Text herüberzubringen. Auch das Thema zeitliche Taktung ist ein völlig anderes in der Wirtschaft: Hier werden Fristen von anderen gesetzt. Ach ja, auch auf das Tragen von Krawatten wurde ich unzureichend vorbereitet…

Könntest Du Deine jetzige Tätigkeit auch ohne Dr.-Titel ausüben?

Ja, das könnte ich, vermutlich gäbe es keinen Unterschied. Den Dr.-Titel hätte ich nicht dafür gebraucht, aber vielleicht hat er beim Einstieg geholfen.

Warum bist Du nicht in der Wissenschaft geblieben?

Lehre hat mir immer nur die ersten vier Wochen des Semesters Spaß gemacht, danach wurde es lästig. Außerdem hat mich die Aussicht gestört, ggf. auf viele Jahre hinaus nur unsichere, befristete Beschäftigungsperspektiven zu haben. Forschung finde ich spannend, das mache ich ja jetzt auch, aber in der Universität ist man aber immer auf die Bewilligung von Drittmitteln angewiesen, gleichzeitig hat man keine Beschäftigungssicherheit, das hat mir keinen Spaß gemacht.

Welche Tipps hast Du für Promovierende zur Orientierung auf dem Arbeitsmarkt außerhalb der Wissenschaft?

Auch während der Promotion unbedingt Praktika leisten. Du solltest nicht unterschätzen, wie wichtig es ist bzw. sein kann, die Firma und etwaige Entscheidungträger/innen persönlich zu kennen. Damit meine ich, dass ein Praktikum bei dem Unternehmen, bei dem man sich später bewirbt, einen Riesenvorteil bietet!
Netzwerke halte ich nicht unbedingt für den Berufseinstieg, sondern eher wichtig für den weiteren Berufsweg. Üblicherweise wird man es nicht schaffen, sich wirksame Netzwerke in Unternehmen zu schaffen, wenn man noch an der Uni ist (private Netzwerke ausgenommen). Selbstmarketing ist selbstredend bei einem Bewerbungsprozess wichtig, ein kreativer, bemerkenswerter und selbstbewusster Auftritt (schriftlich wie auch mündlich) ist unumgänglich.

Welche Bedeutung hat ein Promotionsthema für die Tätigkeit aus der Wissenschaft heraus?

In meinem Fall hat mir das Promotionsthema beim Einstieg bei BMW geholfen, aber das ist für Sozialwissenschaftler vermutlich nicht die Regel. Es hilft aber sicher, wenn das Thema den Eindruck macht, als hätte es etwas mit den späteren Aufgaben zu tun. Und für eine Stelle in der Marktforschung gilt selbstverständlich: Es muss eine empirische Arbeit sein. Grundsätzlich kommt das aber immer auf die Stelle an und hängt vielleicht auch von der Fachdisziplin ab.

Was denkst Du über einen Promotionsabbruch, z.B. wegen fehlender Berufsperspektiven außerhalb der Hochschule?

Wegen vermuteter, schlechter Beschäftigungsbedingungen würde ich die Promotion nicht abbrechen. Wenn ich davon ausgehe, dass eine Promotion zumindest einmal nicht schadet, und dass sich Beschäftigungsbedingungen auch verändern und die Zeit mit einer Promotion evtl. eine gute Überbrückung einer unsicheren Berufseinstiegsphase bedeuten könnte, dann halte ich es für widersinnig, die Promotion abzubrechen.
Etwas anderes ist es, wenn weitere Gründe hinzukommen: Leide ich wie ein Hund unter der Promotion, fühle ich mich den Umständen einer Promotion nicht gewachsen, bekomme ich eine nicht alltägliche berufliche Chance geboten, sieht es anders aus. In der Wirtschaft braucht man keine Promotion, man muss sich entsprechend auch nicht dafür verbiegen.

Welche Tipps hast Du sonst noch für Promovierende?

Eine Dissertation ist ein Buch. In der Wirtschaft schreibt man keine Bücher. Man hält Präsentationen. Nutzt alle Möglichkeiten, Euch in dieser Hinsicht weiterzuentwickeln – mit Übungen und in Ernstfällen, also Vorträgen (dazu zählt auch Lehre). Nutzt alle Möglichkeiten, Euch zu präsentieren und Präsentationen zu üben!

Oft werden Betriebswirte die Wettbewerber um eine Stelle für Sozialwissenschaftler in der Wirtschaft sein. Die gängigen Vorurteile beinhalten, dass Sozialwissenschaftler zwar schwätzen können, aber lurig und wenig zielorientiert sind. Überlegt Euch, wenn ihr z.B. Soziologie studiert und dann promoviert habt, wie Ihr in dem Bewerbungsprozess und in der Anlage Eurer Berufsbiographie diese Eindrücke vermeidet. Lasst Euch nicht abschrecken, Euch auf Stellen zu bewerben, die für Betriebswirte ausgeschrieben sind, wenn Ihr qualifiziert seid. In der Wirtschaft ist die formale Qualifikation gewöhnlich absolut zweitrangig, auf die Person kommt es an.

Und dazu jetzt die ultimative Empfehlung: Wenn Ihr Euch bei einem Unternehmen bewerbt, das ein standardisiertes Online-Bewerbungssystem hat (die schlimmste Erfindung seit dem Callcenter!), kann es u. U. passieren, dass man ganz aus Versehen das falsche Studienfach anklickt. Sehr bedauerlich. Kommt es im Vorstellungsgespräch zur Sprache (womit kaum zu rechnen ist) kann man das mit einer überraschten und leicht betretenen Miene zur Kenntnis nehmen („Nanu, wie konnte mir das denn passieren?! Ich hoffe doch, das ist kein Problem?!“). Die Alternative: Klickt man das zutreffende Studienfach an, ist man als Sozialwissenschaftler oft aus dem Rennen, bevor es gestartet ist – i.d.R. einfach, weil bei der Anlage des Profils die betreffende Führungskraft schlicht nicht daran gedacht hat, dass es jenseits von Betriebswirtschaft andere interessante Qualifikationsfächer geben könnte, und der Computer dann aussiebt!

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