Promovieren in Rente – besser spät als gar nicht!

Promovieren in Rente oder davor, das planen manche, die eine Promotion in jungen Jahren nicht umsetzen konnten oder wollten.
Dr. Mechthild von Lutzau hat ihre Promotion mit Mitte 50 begonnen, im Alter von 67 Jahren promoviert.

Dr. Mechthild von Lutzau

Dr. Mechthild von Lutzau

Der Titel ihrer Arbeit lautete „Schulleiterinnen: Zusammenhänge von Biografie, Aufstiegsbereitschaft und Leitungshandeln“. Ihre Promotion hat sich etwas hingezogen, auch weil Sie noch in ihrer Berufstätigkeit mit der Promotion begonnen hat.
Ich freue mich, dass Mechthild von Lutzau mir ein Interview und damit einen Einblick in die Praxis des relativ späten Promovierens gegeben hat.

Seit wann hattest Du eigentlich die Idee zu promovieren?

Ich hatte die Idee zur Promotion schon mal während des Studiums, aber ich habe da gar nicht so richtig mit angefangen.
Ich habe sehr lange studiert, ich glaube zwanzig Semester: Deutsch, Griechisch, Philosophie und dann habe ich nach sechs Semestern gewechselt und habe Griechisch fallengelassen und habe stattdessen Politikwissenschaften studiert. Politikwissenschaften, weil ich 1961 in Israel war, und da hat sich für mich alles umgedreht, ich habe alles neu bewertet, und dann habe ich Politik studiert, und das war dann das Fach meiner Liebe, meiner Identifikation, und das war eine gute Zeit.
Dann habe ich aber geheiratet. Da wollte und musste ich dann Geld verdienen und habe in G. das Volksschullehrerinnen-Studium gemacht. Damit war sozusagen meine Karriere als Gymnasiallehrerin beendet. Es war auch gar nicht an eine Doktorarbeit oder anderes zu denken, ich habe das Geld verdient und versucht meinen Mann zu unterstützen und bin dann eben Volksschullehrerin geworden, was mir ja auch passte, weil das meiner politischen Meinung entsprach, dass man das“Volk“, wie man das früher nannte, unterstützen muss und nicht in die akademischen Höhen abfliegen muss.
Ich war schon 31 Jahre alt, als ich das Examen gemacht habe. Über Promotion habe ich dann später noch einmal nachgedacht, da war ich Gesamtschullehrerin und schon 45 Jahre alt. Bis ich dann begonnen habe, hat es aber auch noch ein paar Jahre gedauert.

Wie kam es dann schließlich doch noch zur Promotion?

Ich bin damals zu einem Professor in meiner Heimatstadt gegangen, der auch Begleitforschung an der Schule machte, habe ihn gefragt, ob ich bei ihm promovieren könnte. Er sagte, wir verstehen uns so gut, wir haben immer gut zusammengearbeitet: „Wollen wir wirklich unsere gute Zusammenarbeit durch eine Promotion belasten?“ So habe ich aber gemerkt, dass eine Promotion auch eine Belastung zwischen den beiden Menschen, dem Doktorvater/mutter, und den Promovend_innen ist. Dann habe ich weiter nach einer Promotionsbetreuung gesucht.
Meine spätere Doktormutter habe ich mir dann bei einer Tagung angeschaut, ich habe mir gedacht, ich will mir diese Frau mal anschauen, einfach so, ob ich mit ihr klarkomme. Sie hat mich dann in ihr Kolloquium eingeladen.

In welchem Alter hast Du dann mit der Promotion begonnen?

Ich habe mein Thema dann nochmal geändert, und bin dann Mitte 50 richtig angefangen. Vorher gab es aber eine lange Planungs- und Vorbereitungsphase.
Ich dachte damals nicht, dass Promovieren so lange dauert. Von daher hat es mir auch, das muss ich ganz klar sagen, eigentlich nicht mehr für meine berufliche Laufbahn genutzt. Ich habe später noch Kurse für Schulleitungen gegeben. Ich glaube, ich habe insgesamt 16 Jahre promoviert.

Warum hat sich die Promotion so lange hingezogen?

Ich war ja immer noch berufstätig, als ich anfing. Und dann war ich überhaupt nicht eingebunden in die Hochschulszenerie, sondern immer 150 km entfernt vom Unistandort. Es gab weder einen zufälligen noch gewollten Kontakt, sei es auf dem Flur, oder sonst wo, wo man über Ergebnisse sprechen konnte. Ich saß hier immer alleine. Das ist schon ein Punkt, der die Sache erschwert hat, da musste ich immer wieder neue Anläufe nehmen, und das normale Leben nahm einen mit. Andererseits hat mir der Druck gefehlt, von der Promotionsbetreuerin und außerdem gab es niemanden, der auf meine Ergebnisse gewartet hat.

Was hat Dich besonders unterstützt in Deiner Promotion? Was hat Dich motiviert?

Einmal durch das Doktorandinnen-Kolloquium, hier bin ich wirklich auch durch den Austausch der Ergebnisse auf den neuesten Stand der Forschung gekommen. Ich musste nicht alles lesen, man konnte es in einem begrenzten Rahmen lesen. Das war schon eine Sache, die unterstützend war. Das zweite war natürlich die unendliche Geduld von der Doktormutter. Das war für mich ein ganz wesentlicher Punkt.

Warst Du eigentlich älter als Deine Doktormutter?

Ja, und ich habe immer gesagt, dass es selten ist, dass eine Mutter jünger ist als die Tochter. Ich habe sie absolut als Mutter, dass sie mehr wusste und dass ich von ihr lernen konnte, akzeptiert. Sie hat mich immer gefördert, indem sie mich auf Kongresse mitgenommen hatte, ich sollte dort Referate halten. Sie hat Bücher herausgegeben, wo wir zusammen Artikel geschrieben haben. Ich war ja damals noch berufstätig und ich musste die Transkription der Interviews machen, das habe ich überhaupt nicht geschafft neben der Schule und das kostete Geld. Damals hat sie beim Ministerium für Schule und Bildung Mittel für meine Forschung beantragt und bekommen.
Sie hat mir auch immer irgendwie kleine Anstöße gegeben.
Mein Sohn war damals auch unterstützend, wenn andere gesagt haben, Was? Bist du immer noch am Promovieren? Genieß doch lieber das Leben! dann hat mein Sohn gesagt, nein, dass macht die Mama weiter. Er hat gemerkt, dass das für mich wichtig war.

Du warst in einer anderen Situation als die anderen im Doktorandinnen-Kolloquium, zum Beispiel auch, was die Karriereplanung angeht, oder?

Also, die anderen waren fast alles junge Frauen. Es gab zwei, drei Frauen, die auch nicht mehr ganz so jung waren. Ich habe das überhaupt nicht aus Karrieregründen gemacht, weil ich wusste, dass ich schon viel zu alt war, um im Wissenschaftsbetrieb noch irgendeinen Fuß auf den Boden zu bekommen, und im Übrigen habe ich auch nicht geglaubt oder gewollt, dass ich jetzt Wissenschaftlerin werde.
Die anderen fanden es, glaube ich, irgendwie richtig gut, dass sie so eine „Alte“ dabeihatten, wir haben das aber nie so richtig thematisiert.
In manchen Punkten wissen die Älteren sogar mehr. Ich hatte viel mehr Feldwissen über das Thema Schule oder Schulleitung, als jede Frau, die dort saß.
Und das Wichtigste finde ich, wenn Du im Alter promovierst, musst Du Dich mit dem Thema identifizieren. Wichtig ist es dann, dass Du in der Promotion eine Distanz zum Forschungsgegenstand bekommst. Du musst doch auch jede Menge Literatur lesen, dadurch ändert sich Deine Sicht, es kommen andere Blickweisen auf das Feld, was Du hast, dazu. Dadurch erhältst du automatisch mehr Distanz.

Welche Vorteile gab es durch das spätere Promovieren?

Im Vergleich zu den anderen, die ihre berufliche Zukunft an eine Promotion koppeln wollen, konnte ich mein Geld verdienen, ich hatte mein Beamtensalär, da war ich nicht unter Druck. Gleichzeitig war das für mich auch ein Nachtteil, weil es mich hat langsam vorangehen lassen.

Was hat Dich dazu motiviert? Was hat Dich so sehr bei der Stange gehalten?

Ich musste mir beweisen, dass ich das kann. Und ich musste mir auch beweisen, vielleicht hat es am Anfang noch eine kleine Idee gegeben, dass ich damit beruflich noch etwas anfangen könnte. Im Laufe der Jahre zeigte es sich, dass es schon gar nicht mehr geht. Das kannst du vergessen, ich hatte mich selbst als Schulleiterin beworben, da war ich 59 Jahre alt. Mit 59 Jahren setzt keiner mehr für 6 Jahre eine Schulleitung ein. Danach habe ich auch erst angefangen mit der Promotion. Das war alles kein Ziel. Ich habe meine Interviews sehr gut geführt, ich habe viele Informationen bekommen.
Aber die haben natürlich auch gemerkt, dass ich Ahnung vom Feld habe.
Zum Schluss hatte ich ungefähr 1300 Seiten geschrieben und meine Aufgabe bestand darin, es in die entsprechende wissenschaftliche Form zu bringen und das war ganz sicher auch mit ein Grund, warum ich nicht aufgeben habe. Ich wollte nicht umsonst gearbeitet haben.

Was war Dein schönster Promotionsmoment?

Das war, als ich meine Ergebnisse gesehen habe. Ich habe herausgefunden, dass die Unterschiede bei den Zahlenerhebungen zwischen DDR und BRD die gesellschaftliche Bedingtheit des Problems deutlich gemacht haben.
Und – als eine Gutachterin in meiner Promotionskommission nach dem empirischen Material einer Autorin, die ich erwähnt hatte, fragte und ich antworten musste: sie hat keinen Hinweis auf empirisches Material, und ich kannte diese Autorin als Professorin persönlich gut, und mir wurde während der Disputation klar, warum sie immer meine Interviews lesen wollte, weil sie sie so spannend fand.
Da ist mir klar geworden, im Moment der Disputation, dass ich mehr herausbekommen habe und in diesem Punkt wissenschaftlicher gearbeitet hatte als diese Professorin, die ich hoch verehrt habe.
Und außerdem natürlich: da in der Reihe der Tradition zu stehen, der Reihe der Doktorandinnen vor mir, die auch alle den lila Doktorhut der Doktormutter aufsetzen durften, das fand ich schon sehr schön.

Was würdest Du Promovierenden über 50 Jahren raten? Was ist das Wichtigste?

Das Wichtigste für mich ist die Identifikation mit dem Thema. Die Identifikation muss ja nicht unbedingt heißen, dass ich 30 Jahre Felderfahrung habe. Das Thema muss mir am Herzen liegen, das Thema muss mir wichtig sein. Das hilft einem dann beim Durchhalten. Das Zweite, ich glaube, dass Menschen, die mit über 50 Jahren promovieren, das nicht machen sollten, um ihre Karrierechancen zu verbessern, sondern sie sollten das als Hobby betrachten. Sonst würde man sich so unter Druck setzen, das würde ich nicht machen.

Wie ging Dein Weg nach der Promotion weiter?

Ich habe ja dann diese Kurse für Frauen gemacht, die Schulleiterin werden wollen, erst habe ich die Kurse nur für die Frauen, also nur für die Lehrerinnen gemacht, später auch für Lehrer. Da wurde ich dann aufgrund meiner Veröffentlichung auch mal in andere Bundesländer zu Referaten eingeladen.

Was ist nicht so gut gelaufen?

Was ich, glaube ich, nicht gut gemacht habe, ich habe nicht gemerkt, dass man eine Promotion als Veröffentlichung auch vermarkten muss.
Ich kenne andere, die sich dann hingesetzt haben: bei jedem Kongress ihre eigenen Bücher verkauft haben und so, und ich habe gedacht, das macht der Verlag. Der Verlag hat gar nichts gemacht, dem war das völlig egal, ich hätte sozusagen dahinter mehr Kraft und Energie setzen müssen, und das habe ich nicht gewusst. Von daher ist der Aktionsradius meines Buches sehr begrenzt geblieben. Es hat keine zweite Auflage gegeben.

Was würdest Du anders machen?

Ich würde mich wahrscheinlich heute an irgendeinen Coach wenden, oder an jemanden, der Erfahrung darin hat, wie man so eine Doktorarbeit vermarktet. Vielleicht auch, nach einer Strategie suchen, wie man die eigenen Ergebnisse in der Wissenschaft prominenter publiziert.

Die letzte Frage: Gab es im Doktorandinnen-Kolloquium einen Anlass, dass Du doch abgegeben hast, nach 15 Jahren hast Du abgegeben?

Das war, als das Schreiben vom Promotionsausschuss kam, dass jetzt die Promotionsordnung geändert wird und dass ich meine Dissertation in einer bestimmten Frist einreichen muss. Wenn ich das nicht geschafft hätte, hätte ich statt einer Disputation ein Rigorosum machen müssen. Das hätte bedeutet, dass ich noch eine Prüfung hätte vorbereiten müssen, in einem zweiten Fach in dem ich auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand hätte sein müssen.
Dann habe ich mir gedacht, das schaffe ich nicht. Jetzt muss ich mich wie wahnsinnig zusammenreißen und habe mich gekürzt, strukturiert und gemacht, ich habe dann im Oktober oder November 2006 abgegeben und habe damit noch rechtzeitig das Datum geschafft, um nicht nach der neuen Promotionsordnung promovieren zu müssen. Dieser Druck hat mir letztendlich geholfen, meine Dissertation einzureichen.

Also muss von außen auch so etwas kommen, was sagt, so jetzt ist gut. Es geht vielen Promovierenden, glaube ich, so, dass man versucht die Welt zu erklären und das wird immer besser und immer größer und dass man dann irgendwann durch einen Impuls von außen den Sack zumacht.

Ja, dieser Mut, jetzt alles mal zusammenzufassen und nicht noch einmal die letzten Verästlungen zu erklären, es waren ja genug Erkenntnisse da.

Promovieren in Rente

Ich erfahre immer öfter, dass es Mut braucht, später berufsbegleitend oder in Rente zu promovieren. Und das Vernetzung in der Promotion wichtig ist, das Dranbleiben und dann hinterher auch das zusammenschreiben und abgeben! Welche Tipps Du für das Promovieren in Rente oder zumindest eine 50+-Promotion berücksichtigen solltest, habe ich in einem Blogbeitrag beschrieben.